[Wir haben ] uns doch vorgenommen, die Einheit von Raum, Zeit und Handlung streng einzuhalten; einer Handlung, die unter Verrückten spielt, kommt nur die klassische Form bei meint Dürrenmatt in seiner Vorbemerkung zum ersten Akt. Grund genug die szenische Abfolge dieses Dramas etwas näher zu beleuchten. Dürrenmatt nimmt einige Adaptionen vor, wie zum Beispiel die Reduktion auf zwei Akte, bleibt aber sonst der klassischen Form im wesentlichen treu.
Die Beschreibung der Szene in der Vorbemerkung arbeitet quasi mit einer filmischen Technik. Sie erfaßt die ganze Umgebung und nähert sich langsam dem Salon des Irrenhauses, der sich in der Unordnung eines gerade erst beendeten Kampfes befindet. In den darauffolgenden ersten beiden Szenen werden der Mord untersucht und die beiden Patienten, die sich für Einstein bzw. Newton halten, vorgestellt. Die Exposition ist fast abgeschlossen. Die nächsten Szenen sind Möbius geschiedener Frau und deren Familie gewidmet. In diesen Szenen wird Möbius und seine Vergangenheit vorgestellt. Sie gipfeln in der Verabschiedung und dem darauf folgenden gespielten Irrsinnsanfall, der bereits das erste erregende Moment darstellt. Die Handlung verläuft weiter aufsteigend. Schwester Monika gesteht ihre Liebe und Möbius willigt ein, ein neues Leben zu beginnen. Er könnte ein glücklicher Mann sein, doch dann erdrosselt er seine Geliebte. Das Geigenspiel Einsteins liegt über dem Aktschluß.
Im ersten Akt steht jeweils eine Person im Mittelpunkt des Interesses. Sie wird nach vorne geholt, um in einer Szene zu dominieren und danach der nächsten Person Platz zu machen. Es sind das in der Reihenfolge ihres Auftretens: der Oberinspektor, das Fräulein Doktor, die Familie Rose und Möbius. Das Auftreten der Familie Rose und den Mord Möbius an Schwester Monika könnte man auch als eine in sich geschlossene Handlung sehen, mit Konflikt (Möbius wird von seiner Frau verlassen), Umschwung (Schwester Monika gesteht ihre Liebe) und Katastrophe (Möbius ermordet sie). Dies ist aber nur aus rein formalen Überlegungen zulässig, da der wahre Umschwung im zweiten Akt folgt und zusammen mit der Katastrophe ganz anderer Natur und Größenordnung ist.
Der zweite Akt gleicht am Beginn szenisch dem ersten. Merkbar ist jedoch, daß die Dialogpartner nun gleichrangiger agieren. Dies wird speziell in der großen Physikerszene deutlich, die zugleich auch den Umschwung im dramatischen Fortgang der Handlung bedeutet. Ich möchte diese Szene nun ausschnittsweise nachstellen [...] Als letztes retardierendes Moment fungiert das gemeinsame Anstoßen der drei Physiker auf das Wohl der toten Schwestern. Im nächsten Bild bricht dann die Katastrophe herein. Das Verbrennen der Manuskripte ist sinnlos gewesen, die Irrenärztin hat sie photokopiert und einen mächtigen Trust aufbauen lassen. Die Weltherrschaft liegt in den Händen einer Geisteskranken. Anstelle der reinigenden Katharsis des klassischen Dramas ist die Schlußszene resignierend und hoffnungslos. Die Physiker kehren in ihre selbstgewählten Tarnrollen zurück und lassen das Stück mit kurzen Monologen ausklingen.
Personen
Bei der Beschreibung der Personen, ist es unumgänglich Einschränkungen vorzunehmen. Dürrenmatt zeichnet sich aus, jeder seiner Figuren einen enormen Interpretationsspielraum einzuräumen. Alleine die Aufarbeitung der Namen, die vom einfachen Pfleger, bis zu den Physiker allesamt auf historische Persönlichkeiten zurückgehen, würde den Rahmen dieses Referates sprengen. So möchte ich mich, auch zu Gunsten der szenischen Abfolge die im Mittelpunkt steht, auf die meiner Meinung nach wichtigsten Personen beschränken: Die Irrenärztin und ihre drei Patienten.
Die Irrenärztin DDr. Mathilde von Zahnd ist der letzte Sproß einer alten und mächtigen Familie. Ihre einzigen lebenden Verwandten behandelt sie in ihrem Sanatorium: "Meine Familie ist so alt, daß es beinahe einem medizinischen Wunder gleichkommt, wenn ich für relativ normal gelten darf, ich meine, was meinen Geisteszustand betrifft". Daß dem nicht so ist, erfährt das Publikum im ersten Akt noch nicht. Hier wird noch das Bild einer heilen Welt gezeichnet. Von Zahnd wird als tüchtige Geschäftsfrau, angesehene Ärztin und mildtätige Person beschreiben. Dennoch mischen sich schon hier Vorankündigungen ein, wie z.B. "für wen sich meine Patienten halten bestimme ich", die aber neben den vielen Freundlichkeiten der Ärztin nicht auffallen. Zu Beginn des zweiten Aktes tritt ein völlig verändertes Fräulein Doktor vor das Publikum. Nach dem dritten Schwesternmord fürchtet sie um ihre fachliche Kompetenz und versinkt in Düsternis. Sie klagt über ihre Nerven und verliert kurz dem Inspektor gegenüber die Beherrschung als sie meint "Seine Majestät ordnete den Mord an". Nach der großen Physikerszene entlarvt sich die Irrenärztin als irre Ärztin. Die vermeintlichen Entgleisungen sind ihr eigentliches Charakterbild. Als sie in feierlich schwülstigen Bildern von Salomos Erscheinen berichtet, wird endgültig klar, daß man es mit einer Geisteskranken zu tun hat. Ihre Entlarvung als Verrückte ist mit Ironie und eiskaltem Planen gemischt: "So suchte [mich Salomo] auf, seine unwürdige Dienerin. Ihr waret bestimmbar wie Automaten und habt getötet wie Henker." Sie kostet ihren Triumph aus und offenbart sich als skrupellos machtbesessen: "Unfruchtbar, nur zur Nächstenliebe geeignet. Da erbarmte sich Salomo meiner. Nun werde ich mächtiger sein als meine Väter. Mein Trust wird herrschen , die Länder, die Kontinente erobern, das Sonnensystem ausbeuten , nach dem Andromedanebel fahren."
Ihre drei Patienten hat sie gemäß dem Grundsatz "die Physiker zu den Physikern" im Altbau ihrer Villa untergebracht. Als derer erster tritt Newton auf. Er ist aber keineswegs nervenkrank, sondern ein Wissenschaftler von Weltruf, der sich einem Geheimdienst angeschlossen hat und dessen Mission es ist Möbius' Verrücktheit auf die Spur zu kommen. Um seine Tarnung nicht zu riskieren tötete er vor drei Monaten eine Krankenschwester: "es galt meinen Wahnsinn durch einen Mord endgültig zu beweisen." Newton will Möbius für sich gewinnen und ihn, so geht aus zahlreichen Anspielungen hervor, nach Amerika mitnehmen. Er stellt ihm dafür Reichtum und Anerkennung, ja sogar den Nobelpreis in Aussicht. Sein Konkurrent ist der Mörder vom Tage, Einstein. Auch er lüftet in der Physikerszene seine wahre Identität und gibt sich als berühmter Wissenschaftler zu erkennen. Die Ziele, die er verfolgt sind die gleichen, wie bei Newton, wenn auch im Auftrag eines anderen politischen Systems. Wenn Dürrenmatt es auch nicht direkt anspricht, so spricht doch vieles dafür, Einstein dem russischen Geheimdienst zuzuordnen, quasi um den aktuelle Weltpolitik, das Stück entstand 1962, zu reflektieren. Newton und Einstein haben sich an die politische Macht verkauft, indem sie dem Geheimdienst beitraten. Unerheblich ob dies aus Idealismus oder Opportunismus geschah, nun sind sie korrupt und frei von moralischen Werten. Die Konsequenz daraus, sind ihre Morde, die sie im Dienste der Wissenschaft gemacht zu haben glauben.
Die zentrale Figur ist der dritte Physiker, Johann Wilhelm Möbius. Er stammt aus der sozialen Unterschicht. Dürrenmatt läßt kein Stereotyp, aus um das zu beschreiben, sei es nun das bitterarme Waisendasein oder die fleißige Frau, die ihn unterstützt. Seine Frau ist es auch, die Möbius über 15 Jahre hindurch den Aufenthalt im Sanatorium ermöglicht hat. Möbius führt im Gegensatz zu Newton und Einstein nicht von vornherein eine Doppelexistenz. Er bleibt er selbst, es erscheint ihm nur der König Salomo. Trotzdem spielt auch er Theater. Man denke nur an den inszenierten Wahnsinnsanfall bei der Verabschiedung seiner Frau. Während Newton und Einstein sich bei ihren Morden auf Befehlsnotstand berufen können "Befehl ist Befehl", bedient sich auch hier Möbius König Salomos, er habe ihm die Tötung seiner Geliebten befohlen. Ein Tod, der zu verhindern gewesen wäre. Denn logisch wäre es, daß Möbius, der so nach moralischer Integrität strebt, eher an Selbstmord denken müßte, als eine junge Frau zu töten. Auch setzt er seine Arbeit im Irrenhaus fort, und produziert Formel um Formel, obwohl er weiß, wie gefährlich seine Ergebnisse sind. Nachdem die Ärztin ihre Weltherrschaftspläne offenbart hat, kehren die Physiker in ihre Pseudo-Identitäten zurück. Die Geheimdienstler als Einstein und Newton. Möbius aber ändert seine Identität: er wird zum König Salomo, gleichsam um Verantwortung und Schuld auf sich zu nehmen, wenn auch vergeblich.
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