Der Begriff
Die Bezeichnung \"Klassik\" ist vieldeutig. Es gibt:
1. klassische Themen: Eine Vorliebe für Personen, Mythen, Kunst und Landschaften der Antike.
2. klassische Formen: Im Drama herrscht eine Vorliebe für die Tragödie im Sinne Shakespeares, der für die Klassiker den Geist der griechischen Tragödie am besten verstanden hat. Im Gedicht herrscht eine Vorliebe für klassische Strophenformen wie die Ode, Hymne, und Elegie.
3. klassische Ideale: Humanität, Maß, Ruhe, Klarheit, Gleichgewicht zwischen Vernunft und Gefühl, Gesetz, und Ordnung. Diese Ideale zeigen das einseitige Perspektiv der Klassiker, die die dunklere Seite der Antike ignorierten.
Epoche kultureller Höchstleistungen eines Volkes
Die Weimarer Klassik wird begrenzt von Goethes Italienreise (1786) und Schillers Tod im Jahre 1805 (die zeitliche Eingrenzung ist auch heute noch umstritten, oft wird der Tod Goethes im Jahr 1832 als Ende der Weimarer Klassik bezeichnet).
Historischer Hintergrund
Koalitionskriege, Annexionen Napoléon Bonapartes, Befreiungskriege (1813-15)
Die Weimarer Klassik wird geprägt durch die Französische Revolution mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Kampf um eine Verfassung, revolutionäre Diktatur unter Robespierre und der darauffolgende Bonarpartismus führten zu den Grundstrukturen des 19. Jahrhundert (Nationalismus, Liberalismus und Imperialismus).
Idealvorstellungen und Menschenbild:
Idealvorstellungen: Menschlichkeit, Toleranz, Übereinstimmung von Mensch und Natur, von Individuum und Gesellschaft, Versöhnung von Natur und Freiheit.
Idealvorstellungen führen dazu, daß die Vertreter der Weimarer Klassik sich von der blutigen, politischen Realität zurückzogen, und sich nur noch philosophisch mit diesen Ereignissen befaßten.
Weimarer Klassik bleibt unpolitisch.
Die nationalen Ideen des Sturm und Drang werden erst in der Romantik wieder aufgegriffen.
Menschenbild: in der Zeit der Weimarer Klassik glaubte man, daß der Mensch eine Mittelstellung besitzt, da er durch seinen Geist an der Gottheit und durch seine Natur an der Tierheit teilnimmt.
Bedeutende Vertreter
Johann Wolfgang von Goethe: Besonders für Goethe war die Klassik, zu der er unter dem Einfluß einer älteren Frau gekommen war (Charlotte von Stein), eine Überwindung des Sturm und Drangs. Nicht mehr das Gefühl und die unbegrenzte Freiheit der Persönlichkeit, sondern Selbstbeherrschung und ruhige Betrachtung wurden jetzt als Weg zur persönlichen Erfüllung angesehen.
Wieder sind die Gedichte der Höhepunkt seines Schaffens, aber es sind jetzt mehr philosophische Lyrik und Versepen im altgriechischen Stil statt Erlebnislyrik.
Auch mehrere Dramen verkörpern klassische Ideale, z.B. Iphigenie auf Tauris, in dem Agamemnons Tochter durch ihre hohe Humanität und Ehrlichkeit statt Trug und List ihre Freiheit von Thoas König der Taurier gewinnt.
Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre gilt heute noch als der definitive \"Bildungsroman\" (epistolary novel) der deutschen Literatur: ein junger Mann lernt wahre Humanität durch Abenteuer, Wanderungen, und Gespräche mit weisen Menschen.
Friedrich Schiller: Schillers große Dramen sind wichtig, in denen er klassische Ideale wie Selbstbeherrschung und Humanität darstellt: Wallenstein - der Fall einer großen Persönlichkeit, der sich dem Irrationalen und den Gefühlen zu sehr überläßt; Maria Stuart - ein Stück in dem den physischen Tod der Mary Stuart mit ihrem geistigen Sieg kontrastiert wird, ganz im Sinne der altgriechischen Tragödie.
Obwohl Schiller heute noch als der größte deutsche Dramatiker gilt, ist er auch für seine theoretischen Schriften (Essays) bekannt, in denen er die Kunst bzw. Literatur als Weg zur idealen Humanität und zur wahren Bildung befördert. Beispiele: 1) Uber naive und sentimentalische Dichtung; 2) Über die ästhetische Erziehung des Menschen.
Friedrich Hölderlin (1770-1843): Wegen der Subjektivität seiner späteren Lyrik wird Hölderlin oft als Romantiker angesehen, aber in Deutschland gilt er wegen seiner Sehnsucht nach dem \"Goldenen Zeitalter\" Griechenlands und seiner Verwendung antiker Strophenformen (Ode, Hymne, Elegie) vorwiegend als Dichter der Klassik.
Sein Roman Hyperion handelt von einem modernen Griechen, dessen Sehnsucht nach den alten Idealen ihn am Ende zum Eremit macht.
Hölderlins spätere Gedichte sind rhythmisch sehr frei und unregelmäßig und zum Interpretieren außerordentlich schwierig. Wegen dieser Gedichte wird er heute als erster moderner Dichter der europäischen Literatur angesehen. Er gilt außerdem als einer der drei oder vier größten deutschen Lyriker überhaupt.
Hölderlin verbrachte die letzte Hälfte seines Lebens in geistiger Umnachtung.
Literarische Analyse anhand eines Textbeispiels
Das Göttliche von J. W. Goethe
Edel sei der Menschhilfreich und gut!Denn das alleinunterscheidet ihnvon allen Wesendie wir kennen. Auch so das GlückTappt unter die Menge,faßt bald des Knabenlockige Unschuld,bald auch den kahlenSchuldigen Scheitel.
Heil den unbekanntenhöheren Wesen,die wir ahnen!Ihnen gleiche der Mensch!Sein Beispiel lehr' unsjene Glauben. Nach ewigen, ehrnengroßen GesetzenMüssen wir alleUnseres DaseinsKreise vollenden.
Denn unfühlendist die Natur:Es leuchtet die Sonneüber Bös\' und Gute,und dem Verbrecherglänzen wie dem Bestender Mond und die Sterne. Nur allein der Menschvermag das UnmöglicheEr unterscheidet,wählet und richtet;er kann dem AugenblickDauer verleihen.
Wind und Ströme,Donner und Hagelrauschen ihren Wegund ergreifenvorübereilendeinen um den anderen. Er allein darfden Guten lohnen,den Bösen strafen,heilen und retten,alles Irrende, Schweifendenützlich verbinden.
Und wir verehrendie Unsterblichen,als wären sie Menschentäten im großenwas der Beste im kleinentut oder möchte. Der edle Menschsei hilfreich und gut.Unermüdet schaff\' erdas Nützliche, Rechtesei uns ein Vorbildjener geahnten Wesen.
Dieses Gedicht zeigt die für die Weimarer Klassik typischen Merkmale:
es fordert den Leser auf, sich seiner selbst klar zu werden, und sich sittlich zu verhalten, daß heißt edel, (...) hilfreich und gut zu sein
es fordert die für diese Zeit gewünschte Humanität (Zeile 1 / 2)
die Zeilen 3 bis 6 machen deutlich, daß sich der Mensch nur durch seine sittlichen Eigenschaften von allen anderen Lebewesen unterscheidet
in Zeile 7 / 8 erfolgt ein Gruß an die unbekannte Wesen, d.h. an die Götter, deren Existenz hiermit anerkannt wird
das bereits genannte Menschenbild (Mittelstellung zwischen Gottheit und Tierheit) zeigt sich deutlich in den Zeilen 10 bis 25
Gottheit, da der Mensch den Göttern gleichen soll
Tierheit, da er wie die Tiere der Natur und dem Zufall ausgeliefert ist
Literarische Technik:
Sprache des Gefühlausdrucks (Interjektionen, unvollständige Sätze, Gedankenstriche, Wiederholungen, Ellipsen)
Individuelle Gefühlsaussagen in Liebes- und Naturlyrik, Hymnen in freien Rhythmen
Offene Art des Dramas nach dem Muster Shakespears
Rückgriff auf griechische Elemente der Tragödie, wie z.B. den Chor
|