Das Sonett "Menschliches Elende" von Andreas Gryphius befasst sich mit der Bedeutung des menschlichen Lebens.
Andreas Gryphius beginnt sein Gedicht mit einer Reihe von Metaphern, die er dem
menschlichen Leben zuweist. Für ihn ist es ein "Wohnhaus grimmer Schmerzen", "ein Ball
des falschen Glücks", "ein Irrlicht dieser Zeit", "ein Schauplatz herber Angst,
besetzt mit scharfem Leid" und "ein bald verschmelzter Schnee". Der Dichter hält das
Leben des Einzelnen für unbedeutend. An diejenigen, die vor uns gestorben sind, denkt
niemand mehr. Außerdem müsse das Leben und die Taten einzelner Menschen aus dem
Gedächtnis der Menschen entschwinden. Was heute Atem hole, müsse laut A. Gryphius
auch mit der Luft wieder verschwinden und was nach uns komme, müsse uns auch ins Grab
folgen. Zu guter Letzt kommt der Verfasser des Gedichts zu dem Schluss, die Menschen
müssten vergehen "wie Rauch von starken Winden".
Das Gedicht ist streng nach der von Martin Opitz festgelegten Sonett-Struktur
gegliedert. Es besteht aus 14 Versen, das Versmaß ist Jambus und man kann sowohl
Paarreim, als auch umfassenden Reim feststellen.
Andreas Gryphius möchte in seinem Gedicht die Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit des
Lebens der einzelnen Menschen aufzeigen. Um diese Unwichtigkeit besonders klar zu
machen, verwendet er Metaphern, die für Gryphius beschreiben, was der Mensch im
eigentlichen Sinne bedeutet. Seine Ansicht, der Mensch sei geprägt durch Schmerzen,
bekräftigt er mit der Metapher "Wohnhaus grimmer Schmerzen" (Z. 1). Indem er den
Menschen mit diesem Ausdruck versachlicht, macht er die Unwichtigkeit des Menschen
als Person klar. Seine zweite Phrase "Ball des falschen Glücks" (Z. 2) drückt aus,
dass jegliche Glücksgefühle der Menschen unbedeutend sind. Überdies sagt er damit
eine Unmöglichkeit des wahren Glücks im menschlichen Leben aus. Gryphius nächste
Metapher "Irrlicht dieser Zeit" beschreibt das menschliche Leben als kurzen
Lichtpunkt, der jedoch schnell wieder verschwindet und nichts zurücklässt, als "einen
Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid". Andreas Gryphius scheint zu dem
Zeitpunkt, als er sein Gedicht schreibt, kein besonders schönes Leben zu haben. Seine
Gedanken zum Leben laufen immer in eine Richtung, nämlich in die Vergänglichkeit des
Menschen, den Tod und die allzu kurze Lebenszeit, die keine Bedeutung für die
Gesamtheit hat. Diese Auffassung bestätigt sich in den weiteren Zeilen des Sonetts,
in denen er beschreibt, das Leben fleuche davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Dieser Vergleich drückt wieder die Nichtigkeit des Lebens aus, denn wer erinnert sich
schon an einfaches Geschwätz und Scherzen, wenn eine Zeit vergangen ist? In seinen
nächsten Zeilen beschreibt der Dichter die Menschen, die bereits gestorben sind und
macht darauf aufmerksam, dass diese keinerlei Bedeutung für die Lebenden haben. "Die
vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid, [.] sind uns aus Sinn und Herzen" (Z. 6-
8) erklärt diese Auffassung; es ist sogar davon die Rede, uns seien die vor uns
lebenden Menschen nicht nur aus dem Sinn, dem Gedächtnis, sondern auch aus dem Herzen
entschwunden, was bedeutet, dass nicht einmal Gefühle für sie gehegt werden. Der
darauf folgende Vergleich des menschlichen Lebens mit einem "eitel Traum",
der "leicht aus der Acht hinfällt" (Z. 9) ist ein weiterer Satz, mit dem A. Gryphius
die Nichtigkeit des menschlichen Tuns ausdrückt. Für ihn muss "wie ein Strom
verscheußt, den keine Macht aufhält", auch "unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm
verschwinden" (Z. 10/11). Mit diesen zwei Zeilen geht Gryphius insbesondere auf die
Unwichtigkeit der Taten des Einzelnen ein und bekräftigt dies zusätzlich noch mit dem
Vergleich mit der Macht, die ein Fluss ausübt und den niemand aufhalten kann. Für ihn
ist also besonders die Nichtigkeit des menschlichen Tuns eine feste Regel. Ebenso ist
A. Gryphius von der Regel überzeugt, dass derjenige, der "itzund (jetzt) Atem holt"
auch "mit der Luft entfliehn" (Z. 12) muss; wieder ein Hinweis auf die
Vergänglichkeit des Menschen, der nach seinem Tod zu Staub zerfällt. Nicht einmal in
der Zukunft kann der Dichter eine Besserung der Umstände sehen, denn seiner Meinung
nach muss "Was nach uns kommen wird [.], uns ins Grab nachziehen" (Z.13). Mit dieser
Aussage vervollständigt A. Gryphius sein Menschenbild, da er nun auf Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft eingegangen ist. All diese Ausführungen zur Nichtigkeit des
Seins bekräftigt der Dichter durch seine letzte Zeile. Mittels einer rhetorischen
Frage läutet er seinen Schluss ein und sagt aus, der Mensch würde "vergehn wie Rauch
von starken Winden!".
Resümee (normalerweise nicht Bestandteil einer Interpretation):
Der Autor dieses Gedichts hat von 1616 bis 1664 gelebt. In dieser Zeit wüstete der
Dreißigjährige Krieg, was auch die überaus negative Einstellung zum Leben des
Menschen, die aus dem Gedicht resultiert, erklärt. Niemand weiß, wie viel Leid und
Schmerzen A. Gryphius ausstehen musste, um dazu zu kommen, solch ein Gedicht zu
schreiben, oder wie oft kurze glückliche Momente durch schlimme Ereignisse in seinem
Leben nichtig wurden. Wenn man bedenkt, dass der Dichter nur Elend und Armut erlebt
hat, ist die negative Grundaussage des Gedichtes zu verstehen. Allein die im
Verhältnis zum Dreißigjährigen Krieg kurze Zeit des Zweiten Weltkriegs gab bereits
genügend Anlass für die Menschen, alles Positive aus ihrem Leben verdammt zu sehen.
Wie muss es da erst in einem Krieg ausgesehen haben, in dem dreißig Jahre lang
Menschen starben, Krankheiten umgingen und ein niederer Lebensstandart gehalten
werden musste?
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