In seinem Buch "Kinder brauchen Märchen" beschreibt Bettelheim, welchen Einfluss Märchen auf die psychische und soziale Entwicklung eines Kindes haben. Wesentlich erachtet Bettelheim sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, einen Sinn im Leben zu finden. Dieser Sinn im Leben kann durch Märchen vermittelt werden.
Warum ist nun das Märchen so wichtig für Kinder:
Das Kind kann im Gegensatz zu einem erwachsenen Menschen nur sehr wenige Eindrücke, die es aus der Realität wahrnimmt, verarbeiten. Die so entstehenden Lücken werden mit Phantasie gefüllt, wobei innere Unruhen oder Verzerrungen dazuführen, die Ausschnitte je nach Gefallen misszudeuten, wodurch starke Ängste oder Sehnsüchte entstehen können. Diese Ängste oder Sehnsüchte sind später nicht mehr entwirrbar, da das Kind noch nicht nach dem \"Wie und Warum\" fragen kann, und hier tritt das Märchen in Erscheinung. Das Kind wird durch das Märchen geschult, das "Wie und Warum" zu begreifen und nach Lösungen zu suchen.
Durch die bekannten Einleitungsformen "Es war einmal...", "Vor langer Zeit ...", "In einem anderen Land..." werden die meisten Märchen eingeleitet, und damit wird angedeutet, dass die reale Welt verlassen wird. Es ist meist eine liebliche Einleitung, dadurch träumt das Kind vor sich hin, versetzt sich ins Unterbewusstsein, und nachdem die Geschichte das Kind in eine wundersame Welt geführt hat, holt sie es auf höchst tröstliche Weise zurück. Daraus lernt das Kind , dass es erlaubt ist, dass die Phantasie für kurze Zeit Überhand gewinnt, aber man darf nicht für immer darin verstrickt bleiben
Es ist wichtig, dass ein Kind, wenn es glaubt eine Prinzessin zu sein, wieder in die Realität zurückkehrt, wenn es die Mutter ruft, und somit weiß, dass sie keine Prinzessin ist. Nur allzu ausgefallene Märchen (wo der Vater ein halbverhungerter Holzhacker ist, die Mutter eine Königin) stiften beim Kind tatsächlich Verwirrung. Hierbei besteht die größte Schwierigkeit, dass das Kind nicht oder nur sehr schwer zwischen Realem und Irrealem unterscheiden kann.
Wenn man einem Kind nun eine reelle Geschichte erzählt (eine Geschichte, die der Phantasie des Kindes widerspricht), so ist es der Meinung, man verstehe das Kind nicht. Geschieht dies öfters, so entfernt sich das Kind von seinem Inneren immer mehr, und dadurch entsteht nach einigen Jahren bei dem Kind eine Art Nachholbedarf, und es flüchtet erneut, trotz des fortgeschrittenen Alters, in die Phantasiewelt zurück. Erst wenn das Wunschdenken des Kindes in einer guten Fee verkörpert wird, oder wenn es seine destruktiven Wünsche einer bösen Hexe beilegen kann und dergleichen, dann kann das Kind endlich anfangen, seine widersprüchlichen Neigungen zu ordnen, und somit verringert sich die Gefahr, dass das Kind im völligem Wirr-Warr versinkt.
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