Psychogramm von Helmut Halm - 1.Kapitel
Im ersten Kapitel des Buches "Ein fliehendes Pferd" von Martin Walser findet man keine Einführung in die Handlung vor, sondern einen direkten Einstieg. In diesem ersten Kapitel wird erzählt, dass die Halm's im Urlaub am Bodensee sind, so wie schon 10 Jahre davor. Zu der Zeit als die Handlung beginnt, setzen sie sich gerade in ein Café an der Promenade.
Helmut Halm, ein verheirateter Mann, der sich in der Midlife- Crisis befindet. Dies erkennt man auch daran, dass er seine Figur nicht in Ordnung findet
"Die Stühle dieses Cafés seien für ihn zu klein, ... ."(S. 9/ Z.4-5 oder S.14/ Z.26-27). Er ist ein introvertierter Mensch, der sich zurückhält und unscheinbar sein will "Er hätte auch nie einen Platz in der ersten Reihe genommen. ... . Er hätte sich möglichst nah an die Hauswand gesetzt."(S. 9/ Z. 5-10). An seinem Körper stört ihn auch, dass er nicht mehr so jung aussieht und, dass er noch nicht braun ist "... wie die gräßlich gerötete Haut." (S.10/ Z.5-6) "Alle, die hier vorbeiströmen, waren jünger."(S.10/ Z.21-22). Dieses ist ein weiterer Beweis dafür, dass Helmut Halm sich in der Midlife-Crisis befindet. Er will unauffällig sein, deshalb trägt er auch kaum helle Hosen "Er kam sich in hellen Hosen komisch vor." (S.10/ Z.1).
Auch, die Liebe zu seiner Frau wird in dem ersten Kapitel schon deutlich. "Er legte eine Hand auf ihren Unterarm." (S.10/ Z. 12-13), denn er zeigt so seine Zuneigung und sein Vertrauen zu ihr. Man sieht aber auch, dass er wirklich vieles für sie macht und seine eigenen Bedürfnisse für sie zurücksteckt. Zum Beispiel, würde er gern in der Ferienwohnung sitzen (wieder zurückgezogen und er flüchtet), statt dessen ist er aber mit Sabine zu der Promenade gegangen und das nun schon mehrere Abende "Schön, wäre es jetzt hinter den geraden Gittern der Ferienwohnung. Drei Tage waren sie hier, und drei Abende hatte er Sabine in die Stadt folgen müssen." (S.10/ Z.22-25). Selber findet er, Leute zu beobachten auch interessant aber "nicht auszuhalten" (S.10/ Z.27-28). Ich denke, er findet es schlimm, dass er selber ebenfalls beobachtet werden könnte und die wäre sehr schlimm für ihn, wenn sich Menschen über ihn ein Bild machen könnten.
Auf der folgenden Seite kommt ein Hobby von Helmut zum Vorschein: das Lesen. Auf der Seite 10, Zeile 28 steht, dass er sich vorgenommen hat, Kierkegaards Tagebücher zu lesen. Dieser ist ein Philosoph, genau wie Nietzsche, von dem auch die Rede ist. Daraus schließt man, dass er ein sehr nachdenklicher Typ ist. Er liest Kierkegaards Tagebücher, da er ihm so ähnlich ist, denn auch er gibt nichts Privates in seinen Tagebüchern frei. Obwohl man in Tagebüchern nur private Dinge notiert, wie seine Gefühle, das Geschehen des Tages und seine Gedanken. So flüchtet auch er. Doch ich frage mich, wieso er dann überhaupt Tagebücher geschrieben hat?
Es ist ebenfalls herrauszulesen, dass er den Regen genießt "Er stellte sich diese tägliche, stundenlange Enttäuschung beim Lesen der Tagebücher Kierkegaards als etwa Genießbares vor. Wie Regenwetter im Urlaub." (S.11/ Z.9.12). Bei Regenwetter ist kaum jemand gern draußen und es ist so richtig schönes Lesewetter.
Helmut Halm ist zielstrebig und ehrgeizig, jedenfalls was das Lesen angeht. Die Sätze "Er hatte alle fünf Bände dabei. Wehe dir, Sabine, wenn er nur vier Bände schafft." (S.11/ Z.1-3) zeigen, dass er diese Bände unbedingt schaffen möchte zu lesen und er droht Sabine sogar.
Wie oben schon gesagt, liebt Helmut seine Sabine sehr. Auf Seite 11 in Zeile 17 bis Zeile 20 steht: "Er mußte Sabine sagen, daß er ab morgen die Abende nur noch in der Ferienwohnung verbringen werde. Er hätte zittern können vor Empörung!". Er will es Sabine also eigentlich nicht sagen, denn er möchte ihr keinen Wunsch abschlagen. Genauso kann er es überhaupt nicht leiden, dass er dort sitzen muss, an einer Promenade, umgeben von Menschen und in viel zu kleinen Stühlen. Doch er tut es trotzdem, für Sabine.
Im weiteren Verlauf des 1. Kapitels wird wieder auf die Flucht Helmuts eingegangen und er vergleicht sich mit dem, der er früher war. So, war er früher ein Snob "Snob, der er war, ... ." (S.11/ Z. 26), dass heisst er war ziemlich eingebildet, was man sich bei ihm nun nicht mehr vorstellen kann. Auch, war er früher, in seiner Jugendzeit ohne Skrupel, dies zeigt ein Brief an seinen damaligen Lehrer (S.14), in dem er alles anspricht, scheinbar ohne nachzudenken. Doch nun sagt er nicht mehr alles direkt, er hat Respekt vor anderen oder er traut sich ganz einfach nicht. "Er genierte sich für Sabines Lächeln. Er berührte sie am Oberarm." (S.12/ Z. 3-4), somit will er es ihr nicht sagen, dass es ihm peinlich ist, er zeigt ihr das mit der Berührung am Arm auf eine freundlichere Art.
Diesmal wird seine Flucht überaus deutlich "Helmut mochte es nicht, wenn die Umwelt sich über Sabine und ihn Gedanken machen konnte, die zutrafen." (S.12/ Z.10-12). Er will sich dem entziehen und auf keinen Fall durchschaut werden. Wehe, andere Leute, fremde Leute, wissen oder bemerken etwas über ihn. Das wird nochmals gezeigt: "Inkognito war seine Lieblingsvorstellung." (S.12/ Z.16). Inkognito bedeutet soviel wie unerkannt. Dies erklärt auch seine Rollen, die er im Urlaub spielt, da ihn keiner wirklich kennt und auch nicht kennenlernen soll. Er spielt seine Person so, wie die anderen Menschen ihn haben wollen "Jetzt blieb ihm nur noch die Flucht. Ein-, zweimal im Jahr. Der Urlaub eben. Im Urlaub probierte er Gesichter und Benehmensweisen aus, die ihm geeignet zu sein schienen, seine wirkliche Person in Sicherheit zu bringen vor den Augen der Welt." (S.13/ Z.11-16). So verhinderte er erkannt und durchschaut zu werden. Daher kommt auch sein Spitzname "Bodenspecht", da er immer den Kopf gesenkt hat und zu Boden guckt. Die Gebung des Spitznamens machte ihm klar, das er aber gar nicht undurchschaubar und unauffällig ist. Und jedesmal, wenn ihm das klar wurde, wollte er fliehen.
Helmut hatte einen großen Traum, nämlich unerreichbar zu sein (S.13/ Z.16-17). Am Ende der Seite spricht er Wälder an: "Wälder, die kein Ende haben, das ist überhaupt das Vollkommene." (S.13/ Z. 26-27). Ich denke, so wäre er auch gern, denn dann könnte er unerreichbar für alle und sicher sein.
Herr Halm möchte auch nichts in seinem Leben verändern, jedenfalls Monotonie bei dem Thema Urlaub, denn sie fahren, wie schon oben gesagt, seit 11 Jahren jedes Jahr an den Selben Ort an den Bodensee. Dies ist seine Vertraute Umgebung und er kennt alles. Er weiß, wo er sich zurückziehen kann. Außerdem sehen die Halms ihre Urlaubsbekanntschaft jedes Jahr dort wieder: Herr und Frau Zürn. Er schlüpfte "schon ganz von selbst [ in] die Rolle" (S.15/ Z.2-3), die er immer dort spielte. Es wird hier auch noch einmal an Frau Zürn beschrieben, wie er sich in seiner Rolle ihr gegenüber verhält: "Sie hielt ihn für heiter, gesprächig, erholungsbedürftig, blumenfreundlich, tierliebend, Kindernärrisch, herzensgut." (S.15/ Z.7-10). Doch dies spiegelte nicht seine wirkliche Art wieder, denn er ist keines Wegs gesprächig, dann müsste er etwas von sich preis geben. Fazit: Seine Rollen haben recht wenig mit ihm zu tun und er kann diese gut und überzeugend spielen. Er spielt seine Rolle also so, wie Frau Zürn ihn gerne hätte "Er hatte lediglich sein Benehmen so eingerichtet, wie es, nach seinem Gefühl, Frau Zürn am liebsten hätte." (S.15/ Z.12-14),er macht es ihr also recht. Nur seine Frau Sabine weiß, wie er wirklich ist, denn zu ihr hat er vertrauen.
Dann gibt es da noch Doktor Zürn, der Mann von Frau Zürn. Dieser stellt Helmut keine Fragen, woher er kommt und wer er ist. Das findet er besonders sympathisch an ihm. So hat er noch nie ein längeres Gespräch mit ihm geführt. Sie sind sich ähnlich im Aussehen "Sahen sie einander nicht sogar ähnlich? Runder Rücken, runder Bauch. Und schwer." (S.15/ Z. 25-27). Hier sieht man auch wieder, dass Helmut ein stabiler Mann ist. So, wie Dr. Zürn nichts von ihm wissen wollte, wollte er auch nichts von ihm wissen.
Fast am Ende des Kapitels fragt ihn Sabine, ob er denn Hunger hätte. Und seine Gedanken waren sofort der Wohnung gewidmet (S. 17). Er wollte also allein sein und sich wieder vor der Außenwelt verbarrikadieren.
Sabines und Helmuts Verhältnis zueinander wird noch mal in Zeile 23 bis Zeile 28 auf Seite 17 "Das passierte immer wieder, daß sie etwas aussprach, was wie eine Antwort war, auf das, was er gerade dachte.". Die beiden Eheleute kennen sich also sehr gut und sind sich in ihrer Denkweise ähnlich oder haben sich einander angeglichen. Aber dann, als er "Halt's Maul" (S.17/ Z.26) dachte, spricht er es wieder nicht aus. Sondern er geniert sich sogar dafür, dass er einen Gedanken mit diesem Inhalt hatte. So wollte er auf keinen Fall mit seiner Sabine umgehen. Es zeigt sein den Respekt, den er ihr gegenüber hat.
Im letzten kleinen Abschnitt bemerkt man auch die unterschiedlichen Interessen des Ehepaares. Sabine "könnte ewig Leute anschauen" (S.18/ Z. 7-8), dagegen kann es Helmut nicht. Doch zeigt sich auch, dass winwe ohne den anderen nicht gehen oder bleiben will. Damit endet das erste Kapitel.
Man kann zusammenfassend sagen, dass im ersten Kapitel schon sehr viel über Helmut Halm preisgegeben wird. Außerdem wird immer wieder seine Flucht in seine Welt zum Ausdruck gebracht.
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