Die Literatur der \"Neuen Zeit\" umfaßt den Zeitraum vom Revolutionsjahr 1848 bis zum 1. Weltkrieg. Wie in den vom selben Geiste erfüllten Zeitabschnitten unterscheiden wir drei Entwicklungsstufen. Voraus geht die Vorbereitungszeit, die Abkehr von der Romantik durch das \"Junge Deutschland\". Daran schließt sich die Herrschaft des Liberalismus, der in der Dichtung im Realismus zum Ausdruck kommt. Darauf folgt der sozial, national und religiös betonte Rückschlag, den wir nicht ganz zutreffend als Naturalismus bezeichnen. Den Höhepunkt des Zeitalters bildet der Symbolismus, der zugleich Wendepunkt ist hinüber zur unmittelbaren Gegenwart, zur \"Neuesten Zeit\".
Der Realismus entwickelt sich 1848 - 1875 aus dem \"Jungen Deutschland\" heraus. Das Kämpferische desselben ist geschwunden, doch zeigt die nationale Gesinnung der meisten Dichter dieser Zeit noch die Verbundenheit mit der Romantik. Nur auf religiösem und politischem Gebiet hat man sich schon von den bisherigen Anschauungen freigemacht. Eine neue Aufklärung setzt ein, gefördert durch die Naturwissenschaft, Das neue Leben steht im Mittelpunkt der Dichtung, klar, scharf und realistisch, nicht mehr eine geträumte Welt wie in der Romantik.
Die Ursachen für das Aufkommen des Realismus waren weitgehend technischer und wirtschaftlicher Art. Schon seit der Erfindung der Dampfmaschine im Jahre 1765 hatte sich manche Änderung im Wirtschaftsleben vollzogen ( Spinnmaschine, mechanischer Webstuhl usw. ). Doch seit der Mitte der 19. Jahrhunderts setzte in Deutschland geradezu revolutionierende Entwicklung ein. In 30 Jahren wurde die Umwelt der Menschen stärker verändert als früher in den Jahrhunderten. Aus der beschaulichen \"guten alten Zeit\" wurde in wenigen Jahrzehnten das nüchterne Maschinenzeitalter. Das handwerklich und landwirtschaftlich bestimmte Deutschland entwickelte sich zu einem Industriestaat mit Fabriken, Eisenbahnen und wachsenden Städten. Aus selbständigen Handwerkern und Bauern wurde das unselbständige Proletariat der Lohnarbeiter. Jeder einzelne wurde in diese Entwicklung mehr oder weniger stark einbezogen. Niemand konnte sich ihr ganz entziehen.
Deshalb ist es verständlich, daß die Menschen innerlich eine Wandlung durchzumachen hatten. Männer, die als Arbeiter, Angestellte oder Unternehmer täglich zwischen Maschinen, Kalkulation, Konkurrenzkampf und oft in bitterster Not standen, hatten wenig Sinn für romantische Schwelgerei. Sie waren real ( wirklichkeitsnahe ), nüchtern, diesseitsgewandt. Aus dem Volk der Dichter und Denker wurde ein Volk von Tatmenschen.
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