Ginge man vorrangig vom Verhältnis literarischer Strömungen zu den politischen Institutionen der Weimarer Republik (statt vom Verhältnis zu den Klassen) aus, so entstünde ein falsches Bild. Demokratische Autoren, die eine geachtete Stellung einnahmen, erscheinen als Verteidiger des Bestehenden, während die faschistischen Literaten, die beständig vom "Volk" redeten und die derzeitigen Umstände heftig angriffen, den Anstrich von Kämpfern für eine Veränderung, wenn nicht gar den von "Revolutionären" erhalten. In Wirklichkeit lösten sich die Vertreter der Demokratie und des Humanismus in einem an Unwegen, Rückschlägen und Kompromissen allerdings reichen Prozess allmählich von der Kultur, Ideologie und gesellschaftlichen Praxis des Imperialismus und wurden zu Bündnisgefährten der Arbeiterklasse.
Der Begriff der faschistischen Literatur umfasst keinesfalls nur die Autoren, die der NSDAP, ihrer Ideologie und ihren politischen Zielen unmittelbar verbunden waren und nationalsozialistische Tagesparolen zum Gegenstand ihrer Dichtung machten. Als "faschistisch" muss in dieser Phase viel mehr jene Literatur bezeichnet werden, die in Gehalt und Wirkung mehr oder weniger unmittelbar darauf abzielte, die offen terroristische Diktatur der konservativsten Kräfte des Monopolkapitals und seine Aggression vorzubereiten und durchzusetzen.
Alles, was sich zur Mobilisierung für aggressive imperialistische Ziele, zum Kampf gegen Demokratie und Sozialismus eignete, was vom Verständnis der realen gesellschaftlichen Widersprüche ablenkte und die sozialen Erfahrungen der Massen, ihr Streben nach Verbesserung ihrer Lage chauvinistisch und aggressiv umfälschte, war der faschistischen Sammlungsbewegung willkommen. Den faschistischen Charakter solcher ideologischen Elemente bestimmte ihre Funktion im Klassenkampf.
In bezug auf Thematik und literaturhistorische Herkunft war die so verstandene faschistische Literatur uneinheitlich. Je nach der sich ändernden gesellschaftlich-politischen Situation spielten dabei die verschiedenen Komponenten der faschistischen Literatur abwechselnd eine mehr oder weniger hervorstechende Rolle. Trotz der vielfältigen Querverbindungen und Überschneidungen, die es im einzelnen gab, lassen sich einige charakteristische Gruppierungen unterscheiden.
Die ideologisch profilierteste und erfahrendste kann mit den Begriffen alldeutsch, pangermanisch und konservativ umschrieben werden. Ihre literarischen Äußerungen kreisten um den Schlüsselbegriff "Reich". Nicht selten wurde das Leitbild "Reich" durch andere Leitbegriffe wie "Volk" und "Rasse" angereichert. Gegen Ende der 20er Jahre verlor die pangermanisch-konservative Linie an unmittelbar aktueller Bedeutung (ohne deshalb aufzuhören, politisch unberatene Leser zu desorientieren).
Der Übergang von der alldeutschen und konservativen zur "völkischen" Richtung war fließend. Diese griff auf die Heimatdichtung des aufgehenden 19. Jahrhunderts zurück. Als "Blut-und-Boden-Dichtung" beruhte sie auf einer antithetischen Weltsicht, indem sie soziale Missstände der Klassengesellschaft in falsche Antinomien verwandelte: Gesellschaft - Gemeinschaft, Bauer - "Stadtmensch", Land - Stadt, Scholle - Asphalt, gesund - krank.
Eine Gruppe, die "national-revolutionäre", gewann um die Mitte der 20er Jahre innerhalb der faschistischen Literatur die stärkste Bedeutung. Ihre Schlüsselbegriffe waren "Nation", "Krieg" und "Kampf". Der erste Weltkrieg - als "Geburtsstunde der Nation" und "nationalen Revolution" gefeiert - lieferte das demagogische Gesellschaftsmodell einer "Volksgemeinschaft", die der "Frontgemeinschaft" nachgeformt war. Propagiert wurde eine Ordnung aus Führertum und Gefolgschaft, in der Klassenkampf abgeschafft ist. Der Lebensanspruch der einzelnen "erfüllt" sich in dieser "Gemeinschaft" durch den Opfertod im Krieg.
In der von Ernst Jünger herausgegebenen Sammelschrift "Aufmarsch des Nationalismus" (1926) wird am deutlichsten ausgesprochen, was die "moderne", "evolutionäre" Nationalismus wollte: "...strengste Bindung, Ordnung und Unterordnung, durch Gesellschaft, Blut und Boden bedingt. Er will nicht den Sozialismus der Ansprüche, sondern den der Pflichten... Der Vater dieses Nationalismus ist der Krieg..."
Da der Faschismus auf Massenwirksamkeit ausging und zugleich extrem demokratiefeindlich war, arbeiteten ihm sowohl solche Literaturkonzeptionen zu, die dem Arbeiter eine angebliche "Volksgemeinschaft" vorgaukelten als auch scheinbar völlig entgegengesetzte, die aus ihrer Verachtung der Massen und der Demokratie keinen Hehl machten. Die elitären Auffassungen waren geeignet, unzufriedene Intellektuellenschichten im Faschismus das Heil suchen zu lassen.
Die Funktion der faschistischen Literatur, Wirklichkeitszusammenhänge zu verhüllen und mittels mythisierender Konstruktionen und ideologischer Klischees Massenerfahrungen im Sinne proimperialistischer Mobilisierung oder zumindest der widerstandslosen Unterwerfung zu regulieren, führte zum bevorzugten Einsatz ganz bestimmter literarischer Verfahren und Strukturen. Auf dem Gebiet der Epik knüpfte die faschistische Literatur häufig an greifbare Oberflächenerscheinungen der gesellschaftlichen Vorgänge an und damit bis zu einem gewissen Grade an reale Erfahrungen des Lebens (Kriegs- und Nachkriegsereignisse, Arbeitslosigkeit usw.). Zwischen diesen Erscheinungsformen realer Widersprüche wurde jedoch ein falscher Zusammenhang hergestellt, der die ihnen zugrunde liegenden realen Prozesse völlig verdeckte. Mit diesem "Pseudorealismus" setzte die faschistische Epik auch literaturmethodisch die Tradition der "Heimatliteratur" des ausgehenden 19. Jahrhunderts fort. Mit Vorliebe pervertierte sie dabei das Modell des Entwicklungsromans und seine Methode, den Werdegang des Helden als repräsentativ für eine gesellschaftliche Entwicklung erscheinen zu lassen: indem der faschistische Roman seinen Helden innerhalb eines mythisierten Geschichtsbildes agieren lässt, suggeriert er eine historische Kontinuität, einen immanenten Sinn der Geschichte, der im Faschismus Wirklichkeit werde.
Die bekannten und wirksamen Werke der faschistischen Literatur erschienen während der Jahre 1925 bis 1933 und wurden, mit Duldung und Unterstützung offizieller Institutionen, mit großem materiellem und propagandistischem Aufwand verbreitet. Zu nennen sind: Adolf Hitlers "Mein Kampf" (1925), Hans F. Günthers "Rasse und Stil" (1926), Ludwig F. Clauss' "Rasse und Seele" (1926), Paul Schultze-Naumburgs "Kunst und Rasse" (1928), Edgar Jungs "Die Herrschaft der Minderwertigen" (1929) und Rosenbergs "Der Mythos des 20. Jahrhunderts" (1930). Die Versuche, die politische Stoßrichtung dieser Literatur durch vereinfachende Parolen großen Massen verständlich zu machen, und ihre immer stärkere Ausbreitung signalisierten die wachsende Gefahr einer drohenden terroristischen Diktatur.
Mehrere konservative Schriftsteller der älteren Generation waren vor 1933 abgeneigt, sich mit Organisationen und Institutionen zu identifizieren, die sich zur NSDAP bekannten. Da die Naziführer großen Wert darauf legten, bekannte Namen für sich zu gewinnen, trugen sie diesem Ressentiment Rechnung. Die 1927 von Rosenberg begründete "Nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur" erhielt deshalb ein Jahr später den unverfänglichen Namen "Kampfbund für deutsche Kultur", tarnte so ihre Beziehungen zur Nazipartei und gewann damit ein reit größeres Wirkungsfeld. Gemäß seiner Satzung sollte der "Kampfbund" "alle Abwehrkräfte gegen die heute herrschenden Mächte der Zersetzung auf kulturellem Gebiet in Deutschland "sammeln". Ende 1932 wurden die bisher geheim gehaltenen Beziehungen zur NSDAP bekannt gegeben. 1935 ging der "Kampfbund" in der "Nationalsozialistischen Kulturgemeinde" auf.
Am 13. März 1930 legte die nazistische Reichstagsfraktion den Entwurf eines "Gesetzes zum Schutze der Nation" vor, das jedoch erst einige Jahre später, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, als "Notverordnung" (siehe "Die geschichtlichen Hintergründe": Artikel 48) angenommen wurde. Dieser Entwurf enthielt die Drohung: "Wer es unternimmt, deutsches Volkstum und deutsche Kulturgüter, insbesondere deutsche Sitten und Gebräuche zu verfälschen oder zu ersetzen oder fremdrassigen Einflüssen auszuliefern, wird wegen Kulturverrats... mit Zuchthaus bestraft."
Damit war der Auftakt zur physischen Vernichtung bedeutender Schriftsteller und zu den Bücherverbrennungen gegeben. Aber es trat auch klar zutage, dass der Kampf gegen den Faschismus ein Kampf zur Verteidigung der menschlichen Kultur schlechthin war und dass er gegen die gesellschaftlichen Kräfte geführt werden musste, die die Faschisten an die Macht brachten.
Adolf Hitler: "Mein Kampf" S. 525ff
Die programmatische Schrift "Mein Kampf" von Adolf Hitler ist wahrscheinlich das bekannteste Buch der Literatur der Weimarer Republik. Am 8. November 1923 scheiterte der Versuch Hitlers, die Macht in Bayern an sich zu reißen und dann durch einen Marsch auf Berlin die Reichsregierung zu stürzen - der Hitler-Putsch. Der Putsch wurde von der Staatsgewalt vor der Münchner Feldherrnhalle niedergeschlagen. Die NSDAP und ihr Presseorgan, der "Völkische Beobachter", wurden verboten. Den folgenden Hochverratsprozess (26. Februar bis 1. April 1924) verstand Hitler in einen Propagandafeldzug für sich und seine Partei zu verkehren. Das Urteil vom 1. April lautete auf fünf Jahre Festungshaft, aber bereits am 20. Dezember 1924 wurde Hitler aus der Festung Landsberg am Lech vorzeitig wieder entlassen.
In der Haft verfasste Hitler - unter der Mithilfe von Rudolf Heß - den ersten Band seiner programmatischen Schrift "Mein Kampf" (erschienen 1925). Bereits hier sowie im Ende 1926 konzipierten zweiten Band formulierte Hitler seine zentralen Ziele und Auffassungen: Radikaler Antisemitismus und Antibolschewismus sowie die Schaffung von Lebensraum im Osten. "Mein Kampf" erreichte bereits vor 1933 sehr hohe Auflagen; die darin enthaltenen Zielvorstellungen Hitlers wurden jedoch von der Öffentlichkeit stark unterschätzt.
In diesem Auszug aus dem zweiten Band geht Hitler auf die Vorteile eines Redners gegenüber einem Schriftsteller ein. Hitler spricht jedoch - ohne es zu erwähnen - nur von propagandistischen Reden beziehungsweise propagandistischer Literatur. Der einzige Grundgedanke dieses Auszuges ist die Überlegung nach der effektivsten Möglichkeit der Massenbeeinflussung.
Mit starker Allgemeinheit der Aussagen wird versucht eine größtmögliche Menge anzusprechen, wobei eben dies im vorliegenden Auszug an der Literatur kritisiert wird. Das ist ein Beispiel für die Unschlüssigkeit der nationalistischen Ideologie Hitlers, denn er meint, durch die bei der Literatur nötige Allgemeinheit verliere sie "an psychologischer Feinheit und in der Folge an Geschmeidigkeit".
Im ersten Absatz des Auszuges werden die "Bürger" abwertend dargestellt. Mit den "bürgerlichen Schlauköpfen" meint er wahrscheinlich die Proletarier.
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