Gregor Samsa arbeitet als Handlungsreisender. Dieser Beruf mißfällt ihm. Er ist unterwegs
als Reisender, jedoch nicht als Reisender in eigener Sache, eigenem Interesse. Angestellt ist
er bei einer Firma, bei der er arbeitet, um Schulden, verursacht durch geschäftliche Mißerfolge
des Vaters, abzuarbeiten und gleichzeitig seiner Familie ein angenehmes Auskommen zu er-
möglichen. Nur aus Pflichtbewußtsein zwingt er sich zu dieser Arbeit. Die Familienmitglieder
jedoch leben durch seinen Einsatz und Fleiß ein durchaus angenehmes Leben. Die Mutter schont sich kränkelnd, die Schwester verbringt einen von Arbeit unbeschwerten Alltag, der Va-
ter liest ausgiebig Zeitung und ruht.
Die Rücksichtnahme und das Pflichtbewußtsein, mit dem Gregor unter Aufgabe eigener Inter-
essen den finanziellen Rückhalt für die Familie verdient, würdigt die Familie nicht. Sie nimmt dies als selbstverständlich hin.
Gregor hat neben der Arbeit nach Aussage der Familienmitglieder wenig Interessen. Er geht
niemals aus, beschäftigt sich nach Aussage der Mutter allenfalls mit kleinen Laubsägearbeiten.
Neben der Arbeit bestehen Verbindungen zur Außenwelt nur in seiner Beschäftigung mit dem
Bild einer Dame, das er aus einer Illustrierten ausgeschnitten und eingerahmt hat, und dem
Blick durch das Fenster seines Zimmers auf die darunterliegende Gasse.
Die Beziehungen der Familie zu Gregor reduzieren sich auf die Erwartung, er habe für ihr
gutes Befinden und ihre Bequemlichkeit zu sorgen. Bezeichnend ist die Beschreibung von Gre-
gors Zimmer: Innerhalb der großen, durch seine Arbeit finanzierten Wohnung bewohnt er ein
richtiges, nur etwas kleines Menschenzimmer.
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Eines Morgens verschläft Gregor den Wecker und die Pflicht seiner Arbeit. Aufwachend,
stellt er fest, daß er sich in einen Käfer verwandelt hat. Unsicher und unfähig fühlt er sich in
dieser verwandelten Gestalt.
Gerne hätte er schon lange seine Arbeit aufgeben. Das Pflichtbewußtsein, für seine Familie
und die durch den Vater gemachten Schulden aufzukommen, hinderte ihn.
Nun wird seinem Unbehagen äußere Gestalt verliehen. Die Verwandlung in ein Tier verleiht
seiner Unzufriedenheit in körperlicher Form Ausdruck. Gleichzeitig stellt die Verwandlung
in einen Käfer, ein abstoßendes, nutzloses Tier die Position dar, in der er sich gegenüber der
Familie empfindet. So kann er den Erwartungen der Familie nicht mehr entsprechen.
Der ihm zugewiesenen Aufgabe, für den Unterhalt der Familie zu sorgen, kann er so nicht
mehr entsprechen. Er ist auch nicht mehr in der Lage, sich den Familienmitgliedern mitzutei-
len. Obwohl in der Gestalt eines Ungeziefers, bleibt er in seinem Denken und Fühlen vollkom-
men menschlich. Doch eine Verständigung zwischen ihm und den Familienmitgliedern auf üb-liche Weise ist durch die Verwandlung nicht möglich.
Sein plötzlicher Ausfall als Ernährer der Familie und seine Verwandlung in einen nutzlosen
Käfer verändert die Beziehungen zwischen allen Familienmitgliedern und zwingt diese, ihr Verhalten und ihre Lebensweise zu ändern.
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