Wir sind im Jahr 1676. Fünf Jahre sind vergangen seit der Ankunft der kleinen Pfälze¬rin, die man damals mit spöttischer Neugierde empfangen hatte, die sich aber recht gut eingelebt hat. Ihr hoher Rang bringt die wahrlich sonderbare Person über¬haupt nicht in Ver¬legen¬heit, und sie findet größtes Vergnügen daran, bei jedem Wetter spazieren¬zuge¬hen.
Ohne daß die sich darum bemüht hätte, ist ihr Ludwig XIV. von Anfang an zugetan. Das ist um so erstaunlicher, als der König offenbar \"neue Gesichter nicht ertragen\" kann. Es wird wohl so sein, daß er mit der für ihn typischen Beobach¬tungsgabe bei der jungen Deutschen mit den unregelmäßigen Zügen und der entschiedenen Haltung rasch Her¬zensqualitäten erkannt hat, an die er in der oft so heuchlerischen und selbstsüchtigen Welt des Hofes nicht gewöhnt war.
Alle wissen, daß sich der König gerne und ausführlich mit Madame unterhält. Und er läßt keine Gelegenheit aus, ihr seine Freundschaft zu beweisen. Das bleibt nicht ohne Folgen an einem Hof, wo es nur natürlich ist, daß jeder ver¬sucht, in seinem Verhalten den Herrscher zu kopieren. Aber Liselotte läßt sich von den Liebenswürdigkeiten, mit denen sie von den Höflingen überschüttet wird, nicht täuschen. Sogar der \"abgeschabte Zobel\", über den sich fünf Jahre früher der ganze Hof lustig gemacht hatte, ist nun zum Gipfel der Eleganz geworden.
Die beiden haben viele gemeinsame Interessen: reiten, jagen, spazieren gehen, die Vorliebe für Komödie und Oper und das Sammeln von antiken Münzen und Medallien.
Für Liselotte zählt die Freundschaft des Königs stark. Nicht wegen der eitlen Befriedi¬gung, eine \"Prinzessin à la mode\" zu sein , sondern weil diese Freund¬schaft gerade recht kommt, um die gefühlsmäßige Leere, die Monsieurs Gleichgül¬tigkeit hinterlassen hat, zu füllen. Es ist keine Zuneigung, wie Liselotte sagt, aber Achtung, Bewunderung und Dankbarkeit.
Im Herbst 1675 ist Elisabeth Charlottes Beliebtheit auf ihrem Höhepunkt - aber die glorreichen Tage sind gezählt...
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