Was ist Expressionismus
Die Bezeichnung Expressionismus stammt ursprünglich aus der bildenden Kunst und benennt eine Epoche, die von ca. 1910 bis 1925 andauerte.
Der Maler Julien Auguste Hervé stellte von 1901 bis 1908 regelmäßig einige Bilder unter dem Titel "Expressionisme" in Paris aus, wobei die französischen Expressionisten sich selbst "Les Fauves" nannten, in Deutschland auch als "Die Wilden" bekannt.
Die expressionistische Bewegung in der bildenden Kunst war von Künstlern wie
van Gogh und Munch sehr stark geprägt.
Der Expressionismus ist eine Gegenbewegung auf vorangegangene Epochen. Die Aussage, der Expressionismus sei nur eine Umkehrung des Impressionismus, kann nicht lange aufrechterhalten werden. Bei genauer Betrachtung wird erkennbar, dass sich um die Jahrhundertwende eine Vielzahl unterschiedlicher literarischer Strömungen gebildet haben. Diese tragen Bezeichnungen wie Naturalismus, Impressionismus, Ästhetizismus, Symbolismus, Jugendstil und Neuklassizismus.
Expressionismus will sich bewusst von der mimetischen Wirklichkeitsspiegelung des Naturalismus, der Seelenanalyse des Impressionismus sowie dem Ästhetizismus des Jugendstiles und der Neoromantik abgrenzen.
Die expressionistischen Ideale richten sich gegen Autorität, Industrialisierung, Enthumanisierung, Selbstzufriedenheit und Imperialismus. Diese künstlerische Erneuerungsbewegung nimmt keine Rücksicht auf Ethik und Moral. So wandte sich die expressionistische Generation vorwiegend existentiellen und gesellschaftsrelevanten Themen zu, wie Identitätsverlust und Machtmechanismen (Vater-Sohn-Konflikt, sexuelle Besessenheit), der Großstadtproblematik und den Repressionen im wilhelminischen Deutschland.
2. Vertreter der Literatur
Unter den Expressionisten herrscht ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, so dass sie Vereinigungen bilden, die Zeitschriften wie "Der Sturm", "Der Brenner", "Die Aktion", \"Das neue Pathos\" werden herausgegeben. (politische Thesen, sozialistische Forderungen, Frieden, Weltverbrüderung, ...). Bezeichnend für das Selbstverständnis der expressionistischen Autoren bleibt ein ausgeprägtes "Wir-Gefühl".
Zu den bedeutesten Dichtern gehörten u.a.:
Else Lasker-Schüler: Styx, Georg Trakel, Mein blaues Klavier
Georg Heym: Der ewige Tag, Umbra Vitea
Georg Trakl: Der Aufbruch, Sebastian im Traum
Gottfried Benn: Morgue
Ernst Stadler: Der Aufbruch
August Stramm: Erwachen, Dein Lächeln weint
Carl Einstein: Bebuquin
Franz Kafka: Der Prozeß, Das Schloß
Georg Kaiser: Die Bürger von Calais, Der Soldat Tanaka, Das Floß der Medusa
Erst Barlach: Der tote Tag, Der arme Vetter, Die Sintflut
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen, Erdgeist, Die Büchse der Pandora
3. Stilmittel und Merkmale expressionistischer Lyrik
Der Expressionismus ist kennzeichnend für den Bruch mit der Tradition. Genau dieses macht es nicht gerade einfach die Merkmale dieser experimentellen Charakter für alle Lyriker zu umschreiben. Die Expressionistische Lyrik will simultan wahrgenommen werden. Mit der Sprache wird bewusst gespielt, wobei das Wort im Vordergrund steht, das als Zeichen, Chiffre oder für neue Wortkombinationen verwendet wird. Zusammengefasst kann man als epochentypisches Merkmal expressionistischer Lyrik folgende, bei den meisten Lyrikern auffallende, Gemeinsamkeiten aufstellen:
· Abweichung von traditionellen, streng geregelten lyrischen Formen
· die Dynamisierung der Sprache
· Schrei und Telegrammstil
· Verkürzung von Sätzen (weglassen von Artikeln und Vorwörtern)
· Schaffung neuer Verben: tieren, blumen, ...
· Metaphorik (sprachliches Bild)
· Personifikation (Ideen, Phantasien und leblose Dinge werden als Wesen dargestellt)
· Synästhesie (Erregung eines Sinnesorgans durch einen nichtspezifischen Reiz)
· Wortballungen, Worthäufungen
· Kürze und Prägnanz sollen durch Vereinfachung zur Steigerung führen.
· Parataxe, Ellipse und syntaktische Sprachverzerrung (Satzbau) überwiegen im Sprachlich-Stilistischen...
· Verfremdungseffekt z.B. Durcheinander von (Natur-)Katastrophen und Unglücken ohne Bezug zu einander
· von Formzwängen befreites Spiel mit der Sprache
· neue Wortkombinationen, Ausdrücke, Versmaß
· Chiffren (d.h. nur noch schwer enträtselnde Entzifferung der Aussage)
· Reflexionen in langen Dialogen
· scharfe Ironie
· schamlose Darstellung des Peinlichen und Hässlichen
· Dadaismus und Arbeiterdichtung
4. Die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler
4.1 Ihr Leben
Die Schriftstellerin Elisabeth Schüler stammt aus einer jüdischen Familie und wurde am 11. Februar 1869 in Wuppertal-Elberfeld als sechstes Kind von Aron und Jeanette Schüler geboren. Sie galt als \"Wunderkind\" der Familie, konnte mit vier Jahren bereits lesen und schreiben. Da der Vater als Kaufmann und Privatbankier recht vermögend war, wurde Else durch Privatlehrer unterrichtet. Sie selbst hat um ihre Kindheit einen ungeheuren Mythos gelegt, so dass man auch heute nicht genau erkennen kann, wo die Wahrheit aufhört und die Dichtung beginnt. So hat sie als Erwachsene nie ihr Geburtsdatum korrekt angegeben und sich bis zur Ihrem Tod ihr Alter um sieben Jahre reduziert.
Ihren Erzählungen und Gedichten zufolge soll sie erst 1876 geboren worden sein. Ihr Vater sei ein Eberfelder Architekt, der rund um Elberfeld riesige Aussichtstürme gebaut hat. Ihre Mutter, ebenfalls dichterisch veranlagt, ist ein Nachfahre adeliger spanischer Großkaufleute. Die spanische Abstammung der Familie Kissing ist aber bis heute nicht nachgewiesen worden. Auch war ihr Vater Aron nicht eines von 23 Kindern. Moses und Rosa Schüler hatten lediglich nur 21 Kinder. Den Großvater erhob Elses Dichtung Der Wunderrabbiner von Barcelona in der Figur des Rabbuni zum Großrabbiner.
Ihre Mutter verstarb Mitte des Jahres 1890.
Diesen Tod hat Else nie richtig überwunden, da für sie die Mutter von allen Personen in ihrem Leben am wichtigsten war. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie ihr aus der Gedichtsammlung "Styx" das Gedicht "Mutter" widmete.
Am 15.01.1894 heiratet sie den acht Jahre älteren Arzt Dr. Jonathan Bertold Lasker in Elberfeld und zieht nach Berlin. Dort hat sie auch angefangen Malerei zu studieren und war dann auch als Malerin und Zeichnerin tätig. Sie mietete ein Atelier im Berliner Tiergarten, das in erster Linie Zuflucht vor dem Ehemann bot, der sie arg unterdrückte. Gerade aus dieser Zeit ist über das Leben der Else Lasker-Schüler nicht viel bekannt. Aber von Zeugenberichten ist zu erfahren: "Berthold Lasker hat seine Frau wie eine Gefangene gehalten, selbst seine nächsten Freunde haben nicht gewusst, dass er verheiratet ist." Dies lässt auch den Schluss zu, das diese Ehe für Else eine reine Zweckehe war, um das elterliche Haus zu verlassen und ein selbstständiges Leben zu führen.
Im Jahre 1899 wurde ihr erstes Gedicht in dem Magazin \"Die Gesellschaft\" veröffentlicht. Im selben Jahr wurde ihr Sohn Paul geboren, den sie nach ihrem verstorbenen Bruder nannte. Sie hat die Identität des Vaters ihres einzigen Kindes zeit ihres Lebens im dunklen gelassen oder mystifiziert. In einem Brief an Karl Kraus schreibt sie "[...] der Vater ihres Kindes sei der Grieche Alkibiades de Rouan [...]."
Doch auch dieses konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Ein Jahr darauf trennte sie sich endgültig von Bertold Lasker.
Else verstärkte ihre Kontakte zu Künstlerkreisen und fand hier Freund- und Liebschaften. Sie zählte u.a. Franz Marc, Georg Trakl, Peter Hille und Gottfried Benn zu ihren Freunden.
Im November 1903 heiratet sie den Musiker und Komponisten Georg Levin, alias Herwarth Walden. Doch auch diese Ehe wird 1912 geschieden. Einer der Gründe war, dass sie ständig in finanziellen Sorgen waren. Danach lebte sie in Pensionen und Hotelzimmern oder bei Freunden. Über Wasser hielt sie sich mit Vorlesungen ihrer Werke. Sie liebte es, ihre Werke in dunklen Räumen, bei Kerzenschein, vorzulesen. Das war wieder das Mystische, was zur ihr passte. Während ihrer Reise nach Russland 1913 besuchte sie ihren Geliebten, den Anarchisten Senna Hoy (Johannes Holzmann) im Gefängnis und bemühte sich um seine Freilassung. Senna Hoy wurde nach Sibirien verschleppt und starb kurze Zeit später.
In diesen Jahren erfolgten zahlreiche Veröffentlichungen von Gedichten und Prosa, hauptsächlich in Zeitschriften des Expressionismus. Sie hielt Lesungen in Berlin und unternahm Vortragsreisen, u. a. nach München, Wien, Prag, Köln und Zürich. Am 27.04.1919 wurde ihr Stück \"Die Wupper\" im Deutschen Theater Berlin uraufgeführt.
Da ihr Sohn Paul im Jahre 1927 schwer erkrankte, und sie ihn in einem Sanatorium unterbrachte, war sie mal wieder in schweren Geldnöten. Da kam ihr die Neuaufführung der "Wupper" gerade gelegen. Dennoch starb ihr geliebter Sohn Ende des gleichen Jahres an einer Lungenentzündung.
Während der Weimarer Republik druckte vor allem das \"Berliner Tageblatt\" ihre Arbeiten und im November 1932 wurde ihr, zusammen mit Richard Billinger, der Kleistpreis verliehen.
Bei Machtergreifung der Nazis flüchtete Else Lasker-Schüler aufgrund ihrer jüdischen Herkunft in die Schweiz. 1934 erfolgte ihre erste Palästinareise. Sie veröffentlichte während des Krieges weiter in Exilblättern, aber auch in regulären Zeitschriften, wie \"Orient\" (Haifa), \"Neue Züricher Zeitung\" und \"Basler Nachrichten\". 1937 unternahm sie ihre zweite und im April 1939 die dritte Palästinareise. Aufgrund des Kriegsausbruches verweigerte die Schweiz ihr ein Wiedereinreise-Visum. Else Lasker-Schüler saß nun in Jerusalem fest.
Losgelöst von allen Bekannten und Vertrauten wurde sie sonderbar und galt als \"verschroben\". Sie gründete 1941 den "Kraal", einen von Freunden unterstützten literarischen Veranstaltungsring, zu dem sie die Einladungen eigenhändig schrieb. Da es ihr zu dieser Zeit finanziell und gesundheitlich nicht mehr so gut ging, wurde sie von der Deutschen Abteilung der Jewish Agency, der obersten jüdischen Behörde Palästinas, mit regelmäßigen Zahlungen unterstützt. Am 22. Januar 1945 starb sie an den Folgen eines Herzanfalles in Jerusalem und wurde auf dem Ölberg beigesetzt.
Auch Else Lasker-Schülers Ruhm erreichte den Zenit erst nach ihrem Tod. In ihrer Zeit galt sie als schwierig, extravagant und zu leidenschaftlich. Sie schildert die Lust der Frau, Körperlichkeit und außereheliches Verlangen - und dies zu einer Zeit, in der Frauen zu Kinder, Küche und Kirche erzogen wurden. Ihre Gedichte sind wunderschön und wild.
4.2 Ihre Werke
Else Lasker-Schüler gilt als Lyrikerin, ihre Prosa und das dramatische Werk werden kaum beachtet oder als zweitrangig abgetan. Für Lasker-Schüler war das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit nie ein Problem. Ihre Dichtung war Wahrheit, ihre Wahrheit war Dichtung. Sie hat stets versucht, ihr Material Sprache bis an die Grenzen der Belastbarkeit zu erproben. "Wegen der Neuartigkeit ihrer Bildwelt und der Ekstatik ihres Ausdrucks wird Else Lasker-Schüler in der Regel noch als Vorläuferin des Expressionismus gesehen[...]".
Sie hatte ein außerordentliche Bedürfnis nach phantastischer Umformung, nach Kaschierung von Bereichen der privaten Sphäre. So gab sie sich Namen, die ihre Außenseiterposition betonten: Räuber, Vagabund, der über die Bürger lacht, Herumtreiber. Die Existenz als Frau in der bürgerlichen Gesellschaft lehnte sie rigoros ab. Äußerlich demonstrierte sie das durch das Tragen von Hosen und bunten Gewändern, durch kurzgeschnittenes Haar. Sie stellte sich dar als Prinzessin Tino von Bagdad, später als Jussuf, Prinz von Theben, der sein Reich anders regiert als die weltlichen Machthaber, und versuchte auf diese Art, Realitäten und Beziehungen, die Gegenwelt, nach der sie verlangte, anschaulich werden zu lassen. Dieser Gestalt ihrer Phantasie passte sie selbst ihre eigene Identität an. Sie ließ sich ihre Haare kurz schneiden, für die damalige Zeit eine Sensation, trug weite Hosen orientalischen Zuschnitts, dazu klimpernde Ketten und Armreife, sowie Fußglocken. Auf der Straße blieben die Leute stehen, um dieser schillernden Person nachzusehen und nachzutuscheln. Auch ihre Freunde nahm sie in diese Welt auf. Sie entwickelte ein Reich mit fließenden Grenzen, ein Reich ihrer Träume. Hier hielt sie Hof. Hier ernannte sie Fürsten und Hohepriester, schlug Freunde zu Rittern und kämpfte ihren eigenen Kampf.
Georg Trakl
Georg Trakl erlag im Krieg
Von eigener Hand gefällt
So einsam war es in der Welt.
Ich hatt ihn lieb.
Das Gedicht "Georg Trakl" (1914) von Else Lasker-Schüler gehört zur Epoche des Expressionismus. Das kennzeichnende Merkmal ist seine Kürze. Es beinhaltet nur zwanzig Worte. Wie der Titel bereits verrät, ist die Person Georg Trakl der Schwerpunkt des Gedichtes. Georg Trakl war neben Else Lasker-Schüler und anderen Schriftstellern einer der bedeutendsten Dichter des Expressionismus. Im ersten Weltkrieg war er als Militärapotheker an der Front. Nach einigen erfolglosen Selbstmordversuchen starb er im November 1914 an einer Überdosis Kokain. Sein Tod war die Intention Lasker-Schülers ihm dieses Gedicht zu widmen.
Es scheint, als hätte Else Lasker-Schüler in kürzester Form ihre gegenwärtigen Gedanken - die jenen Sachen, welche sie gerade sehr beschäftigen - aufgeschrieben. Das Gedicht besteht aus vier Zeilen, wobei sich jede zweite jeweils auf die vorangegangene bezieht.
In dem ersten Vers wird die Grundsituation geklärt.
Hier findet sich ein erstes allgemeines Merkmal dieser Literatur: die Beschäftigung mit dem ersten Weltkrieg und dessen Ergebnisse.
Die zweite Zeile erläutert die Umstände des Todes. Das Fällen "von eigener Hand" ist eine Metapher für den Selbstmord - er brachte sich mit einer Überdosis Kokain um. Der darauffolgende Vers kann als Kritik an den Umständen dieser Zeit gedeutet werden. Ein weiteres Merkmal - die Position des Individuums in der Welt - wird dargestellt. In der letzten Zeile beschreibt Else Lasker-Schüler - als lyrisches Ich - ihre augenblickliche Situation: das Vermissen der Person Georg Trakl, womit auch die Ernüchterung, die Resignation und der kritische Realismus dieser Zeit zum Ausdruck kommen.
Obwohl das Gedicht "Georg Trakl" von Else Lasker-Schüler nur sehr kurzgefasst ist, enthält es alle grundsätzlichen Merkmale des Expressionismus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Es besticht durch seine Trefflichkeit und Bündigkeit im ganzen, sowie seine Objektivität, womit sich auch schon die Tendenz zur Neuen Sachlichkeit andeutet.
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