Mittlerweile hat sich Hans an der Windstillen Seite des Schobers angelehnt und den mitgeführten Portwein getrunken. Das es keine gute Idee ist, in erschöpftem Zustand Alkohol zu trinken, wird ihm erst klar, als das Getränk seine Wirkung tut. Er wird schnell müder und ein Versuch, sich Bewegung zu verschaffen, wird vom Wetter abgewehrt. An die Wand gelehnt schläft er ein.
Er träumt von einer antiken, mediterranen Landschaft mit glücklichen Menschen überall, ein humanistisches Paradies. Interessant ist folgendes: "Denn dort auf einem runden ,bemoosten Steine sass in braunem Kleide, das von der einen Schulter gelöst war, eine junge Mutter und stillte ihr Kind. Und jeder, der vorbeikam, grüsste sie auf eine besondere Art, in welcher sich alles versammelte, war in dem allgemeinen Verhalten der Menschen sich so ausdrucksvoll verschwieg: die Jünglinge, indem sie, sich gegen die Mütterliche wendend, leicht, rasch und formell die Arme über der Brust kreuzten und lächelnd den Kopf neigten, die Mädchen durch das nicht allzu genaue Andeuten einer Kniebeugung, ähnlich dem Kirchenbesucher, der im Vorübergehn vorm Hochaltar sich leichthin erniedrigt" (S. 511) Die Szene zeigt den Kern des humanistischen Menschenbilds Settembrinis. Der kirchliche Altar ist der Ehrerbietung für den Menschen und seinen Leistungen gewichen.
Wenn Hans von settembrinischen Landschaften träumt, kann Naphta nicht weit sein. Bemerkenswert ist, dass sich die Gegenwelt zu den humanistischen Landschaften hinter Hans Castorps Rücken aufbaut. Er selbst bemerkt davon nur über das Gesicht des Paradies-Bewohners. Im Tempel steht eine Statue, die eine besorgte Mutter und ihre Tochter,die ihr Gesicht verbirgt zeigt. Die Szene ist das direkte Gegenbild zur vorhergegangenen Mutter/Kind Szene. Nur dass die lebendige Materie der humanistischen Welt durch den toten Stein der Statue ersetzt ist und die Szene nicht Mutter-Glück, sondern gemeinsames Leiden darstellt. Beide Szenen zeigen den Kern der Weltanschauung der beiden Kontrahenten: Settembrini stellt den Menschen, die Bekämpfung des Leidens und den Fortschritt in den Mittelpunkt, Naphta Gott und das Jenseits, gottesfürchtiges Leiden und Verharren im Stillstand.
Die nun folgende Szene, die den Schluss des Traums bildet, hat starke Ähnlichkeit mit dem Romanschluss. Beide stehen am Ende, es wird an beiden Stellen flackerndes Licht erwähnt ("...hantierten dort drinnen zwischen flackernden Feuerpfannen..." S 513 und "Dort zieht eine Hügelzeile sich vor dem fernen Brande hin, dessen Glut sich manchmal zu wehenden Fahnen sammelt." S. 743). Das Zerreissen des Kindes, ein Sinnbild für die Opferung der jungen Generation taucht auch am Schluss wieder auf: " Er stürzt. Nein, er hat sich platt hingeworfen, da ein Höllenhund angeheult, ein Brisanzgeschoss, ein ekelhafter Zuckerhut des Abgrunds. Er liegt, das Gesicht im kühlen Kot, die Beine gespreizt, die Füsse gedreht, die Absätze erdwärts. Das Produkt einer verwilderten Wissenschaft, geladen mit dem Schlimmsten, fährt dreissig Schritte schräg vor ihm wie der Teufel selbst tief in den Grund, zerplatzt dort unten mit grässlicher Übergewalt und reisst einen haushohen Springbrunnen von Erdreich, Feuer, Eisen, Blei und zerstückeltem Menschentum in die Lüfte empor." (S. 746) Die Jugend wird von Hexenhänden zum einen und von den technischen "Höllenhunden" das andere mal zerrissen. Es wird einer überholten, veralteten Sache, dem verlassenen, toten Tempel und der zu Ende gehenden Epoche des alten Europa geopfert.
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