...wir verstehen dieses besondere
Gefühl, das jeden Gelehrten er-
greift, der versucht, in das Geheim-
nis des Großen Fermatschen Satzes
einzudringen, weil er den tiefsten
Grundlagen der Arithmetik, jenen
erhabenen Gesetzen, die die Welt
der Zahlen regieren und auf wel-
chen sich unser gesamtes Wissen
über diese Welt gründet, gegenübersteht.
Pierre de Fermat (A. J. Chintschin)
Am Anfang des 17. Jahrhunderts hat Frankreich zwei Männer hervorgebracht, die beide bedeutenden Einfluß auf die Entwicklung der europäischen Mathematik erlangt haben, René Descartes und Pierre de Fermat. In Charakter, Herkunft, Lebensverhältnissen, Beruf und wissenschaftlichen Absichten waren sie nahezu extrem verschieden. Es erweist sich jedoch, daß beide einen entscheidenden Anteil an der Begründung einer mathematischen Disziplin gehabt haben, die wir heute als "analytische Geometrie der Ebene" bezeichnen. Während Descartes diese seine mathematischen Ambitionen als Probe auf die Vorzüglichkeit seiner philosophischen Denkweise dargelegt hat und überhaupt seine eigentlichen Interessen philosophischer Art waren, befaßte sich der Jurist de Fermat außerhalb seiner Berufstätigkeit aus Neigung und Interesse, sozusagen aus Liebhaberei, mit mathematischen Studien. Er wurde einer der erfolgreichsten Mathematiker. Von ihm stammen grundlegende Entdeckungen nicht nur zur analytischen Geometrie, sondern auch zur Infinitesimalrechnung, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Zahlentheorie.
Im Unterschied zu dem um fünf Jahre älteren Descartes hat Fermat in der von militärischen, religiösen und politischen Unruhen erschütterten ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein äußerlich ruhiges Leben geführt, ohne besondere Höhepunkte und bemerkenswerte Einschnitte. Geboren im August des Jahres 1601 in Beaumont de Lomagne - einer Kleinstadt in der Gascogne, in der Nähe von Toulouse - konnte Pierre de Fermat als Sohn eines begüterten Lederhändlers in Toulouse die Rechtswissenschaften studieren, wurde Anwalt und bekleidete seit 1631 verschiedene Ämter am obersten Gerichtshof (parlement) zu Toulouse.
Die Neigung zur Mathematik kann nicht aus seinem Studiengang direkt abgeleitet werden, da damals höhere Mathematik noch nicht an den Universitäten als Lehrfach aufgenommen worden war. Man hat Fermat vielmehr jener um die damalige Zeit rasch zunehmenden Gruppe von Amateuren und Liebhabern der sich außerhalb der Universitäten formierenden Experimentalwissenschaften und Naturphilosophie zuzurechnen; diese "Virtuosi", wie sie sich nannten - Kaufleute, Ärzte, Handwerker, Künstler, Beamte - leiteten die Erneuerung und Herausbildung der modernen Naturwissenschaften ein.
Im Zusammenhang mit seinen zurückgezogenen Lebensgewohnheiten steht auch die Tatsache, daß Fermat von seinen mathematischen Entdeckungen nur den allergeringsten Teil selbst publizierte. Fermats ältester Sohn Clément-Samuel hat aus dem Nachlaß seines Vaters noch vorhandene Notizen, Fragmente und Zettel zusammengetragen und 1679 das damals Erreichbare herausgegeben. Seitdem sind die Arbeiten von Pierre de Fermat systematisch zusammengetragen worden.
Heute steht Fermat nicht nur als ein ideenreicher Erfinder, sondern auch als fleißiger Autor auf mathematischem Gebiet vor uns. Freilich ist es schwer, in vielen Fällen sogar ganz unmöglich, die zahlreichen Abhandlungen du datieren. Ein Teil seiner Forschungsergebisse ist in einem umfangreichen Briefwechsel mit Mathematikern seiner Zeit enhalten, da es damals noch keine wissenschaftlichen Zeitschriften gab.
Der Name Fermat erlangte eine merkwürdige Berühmtheit durch die bewegte Geschichte eines seiner Probleme, des sogenannten Großen Fermatschen Satzes:
Es wird berichtet, daß Fermat ständig die Arithmetika des Diophantos in der 1621 erschienenen, griechisch-lateinischen Ausgabe des Bachet bei sich trug. Pierre de Fermat, der Begründer der neuzeitlichen Zahlentheorie, schrieb etwa 1637 in sein Exemplar der Bachetschen Ausgabe der Arithmetika des Diophantos bei der Aufgabe, eine Quadratzahl in die Summe zweier Quadratzahlen zu zerlegen, folgende Bemerkung:
Eine Kubikzahl in zwei Kubikzahlen, eine vierte Potenz in zwei vierte Potenzen und allgemein eine beliebige Potenz, die höher ist als ein Quadrat in zwei Potenzen mit demselben Exponenten zu zerlegen ist unmöglich; ich habe dafür einen wirklich wunderbaren Beweis entdeckt. Aber der Rand hier ist zu klein, um ihn darauf aufzuschreiben.
Damit hat Fermat den späteren Mathematikergenerationen eine Nuß hinterlassen, die sie bis heute nicht knacken konnten, der "wirklich wunderbare" Beweis von Fermat konnte nämlich trotz intensiver Bemühungen vieler Mathematiker nicht gefunden werden, so daß die Behauptung Fermats noch immer offen ist.
Die Folgezeit sah eine Fülle von Anstengungen, diesen recht harmlos klingenden Satz zu beweisen, zumal Fermat den Beweis schon besessen haben wollte. Er trotzte aber sogar den Bemühungen solch genialer Mathematiker wie L. Euler und C. F. Gauß. Der deutsche Mathematiker E. E. Kummer vermochte den Satz auch nur für n = 3, 4, ..., 100 zu beweisen. Es ist bis heute nicht gelungen, den Satz für alle n ³ 3 zu beweisen; zwar für eine sehr umfangreiche Klasse von Exponenten n, aber eben nicht für alle n.
1983 kam man der Lösung des Fermat-Problems einen entscheidenden Schritt näher. Der deutsche Mathematiker Gerd Faltings bewies für eine sehr umfassende Klasse ebener algebraischer Kurven, daß jede von ihnen höchstens endlich viele Punkte mit rationalen Koordinaten enthalten könne. Als Folgerung aus diesem Satz ergibt sich, daß Gleichungen der Form xn + yn = zn, n Î N, n > 3, höchstens endlich viele ganzzahlige teilerfremde Lösungen haben können, falls solche überhaupt existieren.
Ursprünglich blieb der "Große Fermat", das heißt die Fermatsche Vermutung, Gegenstand der Bemühungen von professionellen Mathematikern. Das änderte sich schlagartig, als im Jahre 1905 der Göttinger Professor P. Wolfskehl der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften die beträchtliche Summe von 100 000 Mark als Preis für denjenigen zur Verfügung stellte, der den Beweis des Satzes gefunden hätte. Von nun an liefen Tausende von sogenannten Beweisen ein; meist waren sich die Autoren der eigentlichen Schwierigkeit nicht bewußt. Sie übersahen, weil das Problem so schnell zu verstehen ist, die Tücken von zahlentheoretischen Untersuchungen. Es gab viel Ärger - bei den Autoren, die sich schon im Besitz der Summe sahen, bei den Assistenten, die jedesmal den jeweiligen Fehlschluß in mühevoller Arbeit nachzuweisen hatten. Es soll an den großen mathematischen Instituten mehrerer deutscher Hochschulen jeweils einen Assistenten gegeben haben, der speziell mit dem "Abtöten" der vorgeblichen Fermat-Lösungen beschäftigt war. Bis Anfang 1911 hatte man so 111 Beweise abgeschlachtet. Viele Beweise waren so töricht, daß sich eine nähere Untersuchung gar nicht lohnte. Es ist überhaupt fraglich, ob Wolfskehl mit seiner Stiftung der Mathematik einen Dienst erwiesen hat. Viel geistige Arbeit ist auf diese Weise nutzlos vertan worden, die in anderen Richtungen nutzbringender hätte verwendet werden können.
Man kann annehmen, daß der große Fermatsche Satz richtig ist; aber man darf auch annehmen, daß Fermat selbst einer Täuschung erlegen ist, als er glaubte, dafür einen "wunderbaren Beweis" gefunden zu haben. Fermat hat sich, bei seinen zahlreichen kühnen Vorstößen in mathematisches Neuland, auch sonst gelegentlich geirrt.
Soll man die Gleichung xn + yn = zn, wobei n die Zahlen 1, 2, 3 ... durchläuft, in ganzzahligen x, y und z auflösen, so ist diese Gleichung für n = 1 trivial lösbar. Für n = 2 erhält man die ganzzahligen Seitenlängen rechtwinkliger Dreiecke (Pythagoreische Zahlentripel).
x² + y² = z²
Es gibt unendlich viele solcher Zahlen, die diese Gleichung erfüllen, und man kann sie alle durch ein einfaches Verfahren finden. Sind nämlich a und b zwei beliebige ungerade Zahlen ohne gemeinsamen Teiler und setzten wir:
x = ½ (a² - b²); y = a * b; z = ½ (a² + b²),
so sind x, y, z immer Pythagoreische Zahlen.
a b x y z x² + y² = z²
3 1 4 3 5 16 + 9 = 25
5 1 12 5 13 144 + 25 = 169
5 3 8 15 17 64 + 225 = 289
7 1 24 7 25 576 + 49 = 625
7 3 20 21 29 400 + 441 = 841
7 5 12 35 37 144 + 1225 = 1369
Die nächste Frage, welche sich die Zahlentheoretiker vorlegten, war nun die: Gibt es auch drei Zahlen x, y, z von der Art, daß
x³ + y³ = z³,
d. h. gibt es zwei dritte Potenzen, deren Summe wieder eine dritte Potenz ist? Fermat behauptet, daß es keine ganze Zahl der Form z³ gibt, die man als Summe x³ + y³ schreiben kann, und daß es keine Zahl der Form z4 gibt, die man als Summe x4 + y4 schreiben kann. Diese beiden Aussagen hat Fermat an anderer Stelle bewiesen.
Die Behauptung am Rand der Diophant-Ausgabe geht weiter: Es soll für ein beliebiges n keine Zerlegung einer Zahl der Form zn in die Summe xn + yn geben. Für diese Aussage gibt es bis heute noch keinen Beweis.
Fermat selbst hat die Unmöglichkeit von x4 + y4 = z4 demonstriert, und zwar mit seiner Methode der "unbegrenzten Abnahme" (descente infinie), die auf der ständigen Verkleinerung der für die Behauptung maßgebenden Größen beruht.
Die Gleichung a) xn + yn = zn hat für natürliche n größer als 2 keine Lösung in positiven ganzen Zahlen x, y, z.
Wir führen den Beweis indirekt. Wir nehemen an, es existiert ein n > 2, so daß die Gleichung a) eine Lösung (x0, y0, z0) in positiven ganzen Zahlen besitzt. Dafür gilt x0, y0 < z0.
Keiner wird den Satz des Pythagoras anzweifeln, für den Hunderte von Beweisen gefunden wurden. Er läßt sich in folgender Form schreiben:
b) x² + y² = z²,
wobei x, y, z die Längen der Katheten bzw. der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks sind. Die Gleichungen a) und b) können wir wie folgt umformen:
c) (x/z)n + (y/z)n = 1, d) (x/z)² + (y/z)² = 1
Die rechten Seiten dieser beiden Gleichungen sind gleich, also gilt
e) (x/z)n + (y/z)n = (x/z)² + (y/z)²
Die Gleichung e) hat aber nur für n = 2 Lösungen (x0, y0, z0) mit x0, y0 < z0. Also sind wir ausgehend davon, daß der Große Fermatsche Satz falsch ist, zu einem Widerspruch gelangt, was bedeutet, daß das Gegenteil unserer Annahme wahr ist, daß heißt, der Große Fermatsche Satz ist wahr.
Der Widerspruch in der Gleichung e) hängt nicht davon ab, ob der Große Fermatsche Satz richtig ist oder nicht. Zunächst haben wir beim Übergang von den Gleichungen c), d) zur Gleichung e) die in den Gleichungen c), d) auftredende Variablen ungerechtfertigterweise gleichgesetzt. Vor allem aber besagt unser Unlösbarkeitsresultat für Gleichung e) und n > 2 nur, daß kein pythagoräisches Zahlentripel Gleichung a) für ein n > 2 erfüllt.
Erst mit modernsten mathematischen Theorien, für die Fermats Behauptung nur einen Spezialfall allgemeinerer Probleme darstellt, gelang 1993 die angebliche Lösung dieses Rätsels.
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