"Der Besuch der alten Dame" ist ein Drama. Doch Friedrich Dürrenmatt unterscheidet sehr genau zwischen Theater und Literatur, welche "zwei gänzlich verschiedene Welten" sind; hier ist also immer von der vom Autor als dichtere Fassung gebilligten Version die Rede. In seinem dramatischen Werk setzt Dürrenmatt gekonnt die Stilmittel des epischen Theaters ein.
Das Werk ist in drei Akte gegliedert und in äußerlicher Hinsicht befinden sich die Bauelemente in der klassischen Abfolge des aristotelischen Dramas. Im ersten Akt werden in der Exposition die Personen und der Ort der Handlung vorgestellt; am Schluß steht das erregenden Moment, das Milliardenangebot, das schon auf einen künftigen Konflikt hindeutet. Im zweiten Akt spitzt sich der Konflikt zu, die Güllener stürzen sich in Schulden, während Alfred bereits Schlimmes ahnt. Im dritten Akt erfolgt der Wendepunkt/die Wende. Nach dem mißlungenen Geschäft zwischen dem Lehrer und Zachanassian gibt es für Alfred keine Rettung mehr. Nachdem die grundsätzliche Entscheidung über die Lösung des Konflikts (Alfreds Tod) gefallen ist, wird die Handlung mit dem Gespräch zwischen Alfred und Klara im Konradsweilerwald kurz verzögert, ehe sie auf die Katastrophe zusteuert. Der Höhepunkt der Anteilnahme des Publikums, der mediengerecht inszenierte Mord soll zur Reinigung führen, die allerdings - hier weicht Dürrenmatt von Aristoteles ab - ausbleibt. Zu dieser beinahe klassischen Form fügt Dürrenmatt die Elemente des epischen Theaters: Vier Güllener Bürger spielen Bäume und Rehe, die Umbauten erfolgen grundsätzlich auf offener Bühne, sowie verfremdete Sprachmodelle, wie zum Beispiel beim scheinheiligen Schlußchor.
Trotz der komplizierten Dramaturgie des Stückes, geben die drei wesentliche Eckpfeiler, Antike, Christentum und Politik, diesem Struktur. Für die Antike steht die Gestalt der rachsüchtigen Medea in Form von Claire Zachanassian, Alfred Ill verkörpert eine weltliche Passionsfigur und das Mordkollektiv steht für die hier wenig schmeichelhaft beschriebene Politik. Jeder dieser Handlungsträger steht im Zentrum je eines Aktes.
Im ersten Akt weiß Zachanassian um die Verlockung ihres allzu verführerischen Angebots, sie kann die Dinge sich entwickeln lassen: "Ich warte ab".
Der zweite Akt, im Zeichen Alfreds, endet mit dessen schauerlicher Erkenntnis "Ich bin verloren".
Den letzten Akt, die Güllener haben nun endlichen erhalten, was sie wollten, beschließen sie scheinheilig im Chorgebet "Damit wir das Glückliche glücklich genießen".
Wirkung & Wertung
Die packende Wirkung des "Besuchs der alten Dame" kommt vor allem durch die langsame Veränderung. Wie eine Seuche greift die Gier nach Geld und die Bereitschaft zu Mord um sich, scheint jeden zu erfassen und keiner, auch nicht der Lehrer, der ihm am längsten widersteht, gefeit ist.
Verständnis
Im allgemeinen ist das Buch sehr verständlich geschrieben und leicht zu lesen.
Verwendete Literatur
Der Besuch der alten Dame, von Friedrich Dürrenmatt, Diogenes Verlag
Königs Erläuterungen und Materialien zu Friedrich Dürrenmatt, C. Bange Verlag
Neues Handbuch der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, dt Verlag
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