Jürg Jenatsch
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Martin Ziegler, Oberwinterthur
BGB7c der BMS Zürich
5. Dezember 1999
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung Seite 3
2. Biographie des Conrad Ferdinand Meyer Seite 3
3. Jürg Jenatsch Seite 5
4. Die Bündner Wirren Seite 6
5. Tatsachen und das Buch, Jürg Jenatsch, im Vergleich Seite 7
6. Wie das Buch Jürg Jenatsch entstand Seite 8
7. Schlusswort Seite 9
Quellennachweis Seite 10
1. Einleitung
Die Geschichte unseres Landes hat mich seit jeher fasziniert. Als meine Mutter mir vorschlug, das Buch von Conrad Ferdinand Meyer, Jürg Jenatsch, zu lesen und mir erklärte, es handle in der Zeit des Dreissigjährigen Krieges, war ich sofort begeistert. Also versuchte ich mich in den Bündner Wirren zurechtzufinden. Die meisten in diesem Buch erwähnten Gegenden und Reiserouten waren mir bekannt, war ich in jüngeren Jahren doch häufig mit meinen Eltern durch die gebirgigen Landschaften Bündens gewandert und gefahren. Zudem kam ich in den Genuss einer militärhistorischen Studienreise unter der kundigen Führung des Herrn Divisionär Riedi zu dem Thema: "Auf den Spuren des Duc du Rohan". Da meine Wurzeln tief im Kanton Graubünden verankert sind, ist es nicht verwunderlich, dass diese felsige, rauhe Landschaft für mich eine zweite Heimat bedeutet, über deren Geschichte ich nun etwas mehr zu erfahren hoffte.
2. Biographie des Conrad Ferdinand Meyer
Conrad Ferdinand Meyer
Am 11. Oktober 1825 erblickte Conrad Meyer in Zürich das Licht der Welt. Er war der Sohn des Regierungsrates Ferdinand Meyer. Die Familie gehörte zum vornehmen reformierten Patriziat der Stadt Zürich. Durch familiäre Konflikte und psychischen Störungen war Meyers Leben schon von Grund auf durch schwere seelische und geistige Krisen gezeichnet.
Als Conrad Meyer 15 Jahre zählte, verlor er seinen Vater. Dies hatte zur Folge, dass die problematische Beziehung zu seiner Mutter eine erdrückende Rolle in seinem Leben zu spielen begann. In seiner Schwester Betsy, mit der ihn ein inniges Verhältnis verband, fand er einen gewissen Ausgleich zum gestörten Verhältnis seiner Mutter gegenüber.
In den Jahren 1843 und 1844 lebte Meyer bei dem mit der Familie befreundeten Historiker Vulliemin in Lausanne. Dort lernte er perfekt Französisch. Mit seinen Kenntnissen in Französisch hätte er ohne weiteres ein französischer Schriftsteller werden können. Auch drängte sich ihm der Plan, ein bescheidenes Leben als Übersetzer zu führen, in diesen Tagen auf.
Nach seiner Rückkehr nach Zürich begann er, auf Wunsch seiner Mutter, das Jurastudium, welches er bereits nach einem knappen Jahr wieder aufgab. In dieser Zeit verfiel Meyer in schwere Depressionen, so dass er auf das Betreiben seiner Mutter hin in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde.
Der Direktor der Anstalt und Meyers Schwester gaben ihm durch das gute Verhältnis sein Selbstvertrauen zurück. Schon nach wenigen Monaten konnte er als geheilt entlassen werden. Weitere Förderung erfuhr er von Vulliemin, der ihn zum Studium der Geschichte und zur
Übersetzertätigkeit ermunterte. 1855 erschien seine erste Übersetzung. Es war das Werk Augustin Therrys: " Erzählungen aus den norwegischen Zeiten".
1856 ertränkte sich Meyers Mutter. Dies war für seine dichterischen Ambitionen befreiend, war doch seine Mutter zeitlebens ihnen gegenübergestanden. Von der erdrückenden Bevormundung seiner Mutter befreit und im Besitze einer Erbschaft, reiste 1857 nach Paris und im Frühjahr mit seiner Schwester nach Italien.
Der erste Lyrikband von Meyer erschien 1863, doch von Durchbruch konnte noch keine Rede sein. Der Band wurde anonym und unter dem Titel: "Zwanzig Balladen von einem Schweizer" veröffentlicht. Die Kosten für den Druck trug Meyer selbst, wie auch für die auf 46 Gedichte erweiterte Auflage, die unter dem Titel: "Romanzen und Bilder" 1869 erschien. Diese jedoch veröffentlichte er nun immerhin unter eigenem Namen. Um Verwechslungen mit einem bekannten Zürcher Zeitgenossen zu vermeiden, setzte Meyer seinem Vornamen den Vornamen seines Vaters, Ferdinand, hinzu, womit der klangvolle Name Conrad Ferdinand Meyer entstand.
1868 kehrte Meyer dem ihm bedrückenden Zürich den Rücken und siedelte mit seiner Schwester nach Küsnacht am Zürichsee über. Sein künstlerisches und gesellschaftliches Selbstvertrauen begann in dieser Zeit langsam zu wachsen. Auch seine übergrosse Schüchternheit und seine quälenden Selbstzweifel liessen langsam nach und es entwickelte sich für das Geschwisterpaar ein intellektuell anregendes geselliges Leben. Der zwischen Preussen und Frankreich herrschende Krieg von 1870/71 brachten für den in zwei Kulturen und Sprachen heimischen Meyer Entscheidungsprobleme. Sein Zugehörigkeitsgefühl zog ihn schliesslich zum deutschen Kulturraum hin.
Mit dem Versepos "Huttens letzte Tage" setzte 1872 Meyers literarischer Erfolg ein. Der Beschäftigung mit diesem Thema ging eine lange Auseinandersetzung mit der problematischen Gestalt des Bündner Nationalisten Jürg Jenatsch voraus, die jedoch erst später im gleichnamigen Roman ihre künstlerische Bewältigung fand. Den Erfolg seines Erstlingswerkes verdankte er nicht zuletzt der patriotischen Thematik, die im nationalistischen Jubel nach dem gewonnenen Sieg über Frankreich herrschte.
Bis 1887 arbeitete Meyer nun ununterbrochen an seinem lyrischen Spätwerk und seiner Erzählprosa. Seit 1873 entstanden folgende Werke:
1873 Das Amulett
1876 Jürg Jenatsch
1878 Der Schuss von der Kanzel
1879 Der Heilige
1881 Plautus im Nonnenkloster
1882 Gustav Adolfs Page
1883 Das Leiden eines Knaben
1884 Die Hochzeit des Mönchs
1885 Die Richterin
1887 Die Versuchung des Pescara
Dass Meyer nun eine frohere Phase seines Lebens durchlief, zeigte sich auch in seinen humoristischen Werken "Der Schuss von der Kanzel" und "Plautus im Nonnenkloster". Die aus reichem und angesehenem Hause stammende Luise Ziegler wurde 1875 seine Gemahlin. Neben der Erweiterung der finanziellen Mitteln brachte ihm diese Heirat auch gesellschaftliches Ansehen in der Oberschicht des Schweizer Bürgertums. Der nun selbstbewusste Schriftsteller verkehrte nun mit bedeutenden Berufskollegen wie Gottfried Keller, Paul Heyse und Luise von François. Durch die Spannungen zwischen seiner Schwester, die ihm all die Jahre den Haushalt besorgt und auch als seine Sekretärin gearbeitet hatte, und seiner Frau wurde sein Glück allerdings getrübt.
1887 wurde Meyer erneut von schweren Depressionen befallen. Dazu kamen noch körperliche Leiden. Angela Borgia (1891), sein letztes Werk, konnte Meyer nur mehr mit Mühe und mit Hilfe seiner Schwester abfassen.
Meyer begann in den folgenden Jahren mehr und mehr in einen geistigen Dämmerzustand abzugleiten. Die Einweisung in die Heilanstalt Königsfelden (Aargau) erfolgte 1892. Der Direktor
schilderte den Zustand des Schriftstellers mit folgenden Worten: "Die Krankheit des Dichters präsentiert sich als eine schwere Melancholie mit Sinnestäuschungen, kompliziert mit Erscheinungen, welche auf eine starke geistige Ermüdung zurückzuführen sind". 1893 wurde Meyer wieder aus der Anstalt entlassen, ohne dass sich sein Zustand wesentlich gebessert hätte. Am 28. November 1898 starb Conrad Ferdinand Meyer in seinem Haus in Kilchberg in Zürich, wo er seine letzten Jahre verlebt hatte.
3. Jürg Jenatsch
Der Inhalt der Prosaerzählung "Jürg Jenatsch" wird in der folgenden Zusammenfassung wiedergegeben.
Der junge protestantische Pfarrer Jürg Jenatsch ist fanatischer Patriot. Zu Beginn des Dreissigjährigen Krieges führt er seine Glaubensgenossen im Kampf gegen die Katholiken an. Beim Veltliner Mord verliert er seine Frau. Nach diesem Akt der Grausamkeit, von spanischen Verbündeten ausgeführt, beschließt er, seine geistliche Tätigkeit aufzugeben und sinnt nur noch nach Rache für die Mörder seiner Frau. Er will Graubünden aus den Klauen Spaniens befreien. Er tötet den Freiherrn Pompejus von Planta, das Oberhaupt der pro-spanischen katholischen Partei, mit dessen Tochter Lucretia Jenatsch eine innige Jugendliebe verbindet. Nach jahrelangen Kämpfen im Dienste anderer Länder kommt Jenasch schliesslich nach Venedig, wo er den französischen Herzog Heinrich Rohan (Duc du Rohan) kennenlernt und ihn bittet, wieder für sein Vaterland, also Bünden, kämpfen zu können. Der Herzog willigt ein. Kurz darauf wird Jenatsch von seinem ehemaligen Vorgesetzten, dem Provveditore Grimani, in Venedig verhaftet, da der Hauptmann Jenatsch angeblich einen Obersten umgebracht habe. Herzog Heinrich gelingt es, Jenatsch aus dem Gefängnis zu befreien. Die folgenden Feldzüge gegen die Spanier in Bünden unter der Führung von Rohan bringen Sieg um Sieg. Jenatsch, der das Gebirge wie seine Westentasche kennt, wird zum Vertrauten von Rohan. Zusammen Kämpfen sie für dir Freiheit und Unabhängigkeit der drei Bünde. Alle hoffen auf den "guten Herzog", da man ihm in ganz Bünden Vertrauen schenkt. Nach dem hart erkämpften Sieg über die Spanier will aber der französische Kanzler Richelieu den Vertrag, der die langersehnte Unabhängigkeit Graubündens garantieren sollte, nicht unterzeichnen. Dies bringt Jenatsch dazu, ein geheimes Bündnis mit den Spaniern einzugehen. Seine ehemalige Jugendliebe Lucretia soll nach Spanien abreisen, um dort einen Vertrag auszuarbeiten. Da es unbedingt notwendig ist, dass der Herzog dem inzwischen zum Obersten aufgestiegenen Jenatsch weiterhin vollstes Vertrauen schenkt, kann dieser nicht selber reisen. Mit Hilfe der Spanier vertreibt er nun die Franzosen aus Bünden. Als der Herzog, inzwischen alt und kränklich geworden, mit seinen in Chur besammelten Truppen abzieht, ist die ganze Churer Bevölkerung anwesend und bittet ihn um Verzeihung des Verrates. Den ebenfalls anwesenden Jenatsch würdigt Rohan nur mit enttäuschten Blicken, war Jenatsch doch in den zusammen verbrachten Jahren für Rohan etwas wie ein Sohn geworden. In den anschliessenden Verhandlungen mit Spanien versucht Oberst Jenatsch, die Unabhängigkeit Bündens zu erreichen, was ihm auch gelingt. Die Spanier fordern ihrerseits, dass Oberst Jenatsch seinem protestantischen Glauben abschwört und zum katholischen übertritt. Dies stürzt Jenatsch in einen tiefen Gewissenskonflikt. Jenatsch hat sich während dieser Zeit nicht bloß Freunde geschaffen. Die Spanier und Rudolf von Planta, der Sohn des ermordeten Pompejus von Planta, trachteten ihm sogar nach dem Leben, da ihnen Jenatsch langsam zu mächtig wird. Während der Fastnachtszeit wird ein Bankett Jenatsch zu Ehren abgehalten. Als alle Gäste versammelt sind, trifft die Nachricht ein, der gute Herzog Heinrich Rohan sei gestorben. Man will die Feier abbrechen, doch Jenatsch besteht mit den Worten: "Ich will mein Fest" auf seine Huldigung. Als das Fest in vollem Gange ist, kommen weitere maskierte Menschen in den Raum. Sie umringen den Obersten und ziehen ihren Kreis immer enger. Jenatsch ergreift einen schweren Kerzenständer, um sich zu verteidigen. Er entgeht dem ersten Anschlag
schwer verwundet. Doch kurz darauf erschlägt ihn Lucretia von Planta mit derselben Axt, mit der ihr Vater von Jenatsch niedergestreckt worden ist und die ihr treuer Diener die ganze Zeit über aufbewahrt hat. Der stattliche Oberst Jürg Jenatsch stirbt in den Armen seiner Jugendliebe Lucretia von Planta, die nun auch den Mord an ihrem Vater gerächt hat. Man verzichtet darauf, die Urheber des Mordes ausfindig zu machen, da keine neue Parteiung und Rache aus dem Blute entstehen soll.
Man beschliesst aber, den Befreier und Wiederhersteller Bündens, Jürg Jenatsch, im Rahmen einer seinem Dienst am Vaterland angemessenen Beerdigung in allen Ehren zu bestatten.
4. Die Bündner Wirren
Die geschichtlichen Abläufe jener Zeit sind sehr komplex, nicht umsonst wird von "Bündner Wirren" gesprochen. Die wesentlichen historischen Abläufe werden im Folgenden zusammengefasst.
Weitaus heftiger als die übrige Schweiz wurde Graubünden in den Dreissigjährigen Krieg einbezogen. Das Interesse der kriegführenden Mächte galt neben den Söldnern und Alpenpässen in immer grösserem Masse dem Veltlin. Diesem bündnerischen Untertanenland kam als kürzeste und bequemste Verbindung zwischen dem österreich-habsburgischen Tirol und dem spanischen-habsburgischen Mailand, als Einfallstor ins Herzogtum Mailand sowie als Grenzland der Konfessionen grosse geopolitische und strategische Bedeutung zu. Die Venezianer und die Franzosen waren bestrebt, diesen Transitkorridor für die habsburgische Herrschaft zu sperren. Die Habsburger hingegen verfolgten genau das entgegengesetzte Ziel. Um die Bündner Politik für sich zu gewinnen, wurde versucht, mit Geld, Drohungen und Versprechungen Einfluss zu schaffen. Die daraus entstandenen Parteiungen stürzten das Land in anarchistische Zustände und drohten, es zu zerreissen. Durch die in Graubünden erst spät einsetzende Gegenreformation wurden diese Turbulenzen noch verstärkt. Die sehr lockere politische Struktur des Dreibündenstaates, die weder eine gesamtstaatliche Regierung noch Justiz zuliess, erschwerte die Lage zusätzlich. Familienfehden innerhalb der Bündner Führungsschicht, Rivalitäten in und unter den Talschaften, der Streit zwischen den zumeist kohärenten österreich-spanischen und venezianisch-französichen Parteigruppen sowie der Kampf zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon um Europas Vorherrschaft durchwirkten sich in den Bünden.
Strafgerichte und sogenannte "Fähnlilupfen", von Aristokraten angeführten Parteien, standen sich bereits vor 1600 gegenüber. Die gemeinstaatlichen Versuche, diesen Umtrieben Einhalt zu gebieten, scheiterten weitgehend. Die Bemühungen um Graubünden wurden zu Beginn des 17 Jahrhunderts von den ausländischen Mächten verstärkt. 1602 gelang Frankreich die Bündniserneuerung mit Bünden. 1603 schloss Venedig eine Allianz mit Graubünden. Doch dies gefiel Mailand gar nicht. Man reagierte auf die geschlossenen Bündnisse mit einem Handelsembargo und liess am Eingang des Veltlins die Festung Fuentes bauen. 1607 folgte einem "Fähnlilupf" ein Strafgericht, das sich vorerst gegen die venetianische, später aber auch gegen die habsburgische Seite wandte.
An die Spitze der 1618 gegen Spanien gerichteten Bewegung stellten sich junge radikale Prädikanten, unter Ihnen auch Jürg Jenatsch. Nach einem von ihnen in die Wege geleiteten "Fähnlilupf" spielten sie im hart vorgehenden Strafgericht von Thusis eine führende Rolle. Wenig später hob ein weiteres Gericht die in Thusis verhängten Urteile wieder auf, worauf ein neuerliches diese wiederum bestätigte.
Der Verlauf der Strafgerichte führte im Veltlin, zusammen mit dem lang gehegten Wunsch, die Fremdherrschaft abzuschütteln und das Tal vom Protestantismus zu reinigen, 1620 zum Aufstand gegen die Bündner (Veltliner Mord). Dieser wurde von der einheimischen Führungsschicht angezettelt. Die Drei Bünde verloren die Talschaft. Am Widerstand Mailands scheiterten die Versuche, das Veltlin zurück zu erobern. Aus Rache wurde darum in Bünden der Parteiführer der pro-spanischen katholischen Partei, Pompejus vom Planta, ermordet.
1621 fielen österreichische Truppen ins Land ein. Graubünden musste 1622 in den Mailänder Artikeln und später im Vertrag von Lindau auf seine Untertanenlande verzichten. Die Prättigauer, Davoser und
Unterengadiner wurden zudem, nach alten Rechten, wieder habsburgische Untertanen. 1622 wurde ihnen auch die Ausübung des protestantischen Glaubens verboten. Dies hatte den Prättigauer-Aufstand zur Folge, bei dem die Österreicher vertrieben wurden. 1623-1624 und 1629-1631 folgten zwei weitere österreichische Invasionen.
Kardinal Richelieu, er war neu an die Spitze Frankreichs getreten, betrachtete das Veltlin als geeigneten Ansatzpunkt, um Spanien zu schwächen. 1624-1625 wurde das Veltlin durch bündnerische und französische Truppen besetzt. 1629 überliess Richelieu jedoch die eroberte Talschaft wieder den Spaniern. Nach der schwedischen Niederlage in Deutschland griff Frankreich 1634 erneut ein. Es erteilte Duc Henri de Rohan den Auftrag, ins Veltlin einzumarschieren. Richelieu war aber auch diesmal nicht bereit, das Untertanenland den Bündnern zurückzugeben. Der Vertraute von Rohan, Jürg Jenatsch, knüpfte aus diesem Grund sowie wegen erheblichen französischen Soldrückständen heimliche Verbindungen zu Österreich und Spanien. 1637 kam es zum Aufstand der mit ihren Truppen in spanischen Sold wechselnden Bündner-Offiziere. Rohan musste kapitulieren. Gemäss dem 1. Mailänder Kapitulat mit Spanien konnten die Bündner 1639 ihre Untertanenlande mit einigen - vorab konfessionellen - Einschränkungen wieder in Besitz nehmen.
Im Januar 1639 verbrachte Jürg Jenatsch einige Wochen im Kreise seiner Familie in Chur. Am 24. Januar begab sich der Oberst mit einigen früheren Waffengefährten in die etwas abseits gelegene Wirtschaft des Pastetenbäckers Fausch, das "Staubige Hüetli". Immer mehr Gäste trafen ein, um bei Musik und Tanz einen gemütlichen Abend zu verbringen. Als sie sich anschickten, die Stube gegen Mitternacht wieder zu verlassen, betrat eine grosse Maske - es war Fastnacht - die Stube. Sie schritt auf Jenatsch zu und fasste ihn kräftig bei der Hand. Die Maske zog eine Pistole und feuerte sie auf Jenatsch ab, verfehlte jedoch ihr Ziel. Jenatsch ergriff einen Leuchter, um sich zu wehren. Im selben Augenblick drangen weitere Maskierte ein und droschen mit Äxten und anderen Mordwerkzeugen auf Jenatsch ein. Als Jürg Jenatsch mit zerschmettertem Haupte auf den Boden sank, verschwanden die Täter in der Nacht. Die Leiche des Volkshelden wurde am nächsten Tage unter grosser Prachtentfaltung in der Kathedrale von Chur bestattet.
Durch das Strafgericht wurde noch am Begräbnistage eine Untersuchung anberaumt, diese förderte aber nichts Greifbares zu Tage. Die Ermordung wurde allgemein als ein Akt verwandtschaftlicher Blutrache angesehen. Die wirklichen Mörder waren nämlich Rudolf von Planta, der Sohn des 1621 in Rietberg von Jenatsch und Mitverschworenen ermordeten Pompejus von Planta, und sein Hauptmann, Prevost-Zambra, der Sohn des in Thusis vom Strafgericht hingerichteten Prevost. Die intellektuelle Urheberin war wahrscheinlich die Schwester Rudolfs, Katharina (Lucretia) von Planta. Auf alle Fälle war sie Mitwisserin. Politische und persönliche Feinde und einige Jenatsch nahestehende Obersten begünstigten den Mord. Ihre Werkzeuge waren maskierte Haldensteiner-Bauern. Nicht nachweisbar ist jedoch, dass die französische Regierung an der Bluttat teilgehabt hatte.
5. Tatsachen und das Buch, Jürg Jenatsch, im Vergleich
Im Buch von Conrad Ferdinand Meyer, Jürg Jenatsch, werden eine Reihe von Landschaftsbildern, Reiserouten und geschichtlichen Gegebenheiten erwähnt. Da ich die Gegend und auch die geschichtlichen Abläufe Graubündens kenne, werde ich nun versuchen, ausfindig zu machen, in wieweit Meyer seiner Phantasie freien Lauf gelassen hat.
Schon als ich die ersten Seiten des Buches las, wie der Jugendfreund Jenatschs, der Zürcher Amtsschreiber Heinrich Waser, auf der Passhöhe des Juliers angelangt, war ich überrascht. Die Passhöhe wird in den kleinsten Details geschildert. Die alten römischen Säulen beim Eingang des Hospiz von der Engadinerseite her sowie der kleine Bergsee werden erwähnt. Auch die, die Passhöhe umringenden Gipfel sind genau beschrieben. Auf Wasers Reise gegen Maloja, wo er in einem Gasthof übernachtet, werden die Dörflein Silvaplana und Sils ebenfalls kurz erwähnt. Sogar das in Sils gelegene Kirchlein von Sils-Baselgia findet einen Platz in Meyers Erzählung. Die Stimmung, die zur
Zeit Wasers in dem Tal herrscht, ist genau beschrieben. Wie Meyer die Lichtverhältnisse und die Farben des Silvaplaner- und Silsersees beschreibt, konnte ich schon unzählige Male in meinen Ferien bewundern. Wasers anschliessende Reise über den Muretto-Pass ist in gleichem Masse an Genauigkeit und eindrücklichen Worten wiedergegeben.
Um in einem ganzen Buch die landschaftliche Gegend so genau zu beschreiben, genügt es nicht, sich an einige Gemälde, Fotos oder Erzählungen zu halten. Conrad Ferdinand Meyer muss also jene
Wege ebenfalls gegangen sein. Diese rauhe, grobe und felsige Landschaft muss auf Meyer einen sehr starken Eindruck hinterlassen haben, denn die Beschreibung einzelner Gipfel sowie ganzer Landschaftsbilder werden leidenschaftlich und mit wunderschönen Worten niedergelegt.
Auch die geschichtliche Erzählung ist interessant. Der Veltliner Mord, die anschliessende Flucht vor den pro-spanischen Verbündeten werden ausführlich beschrieben. Der anschliessende Aufenthalt von Jenatsch nach den Feldzügen in fernen Ländern und die Bekanntschaft mit dem "guten Herzog Heinrich" scheinen wohl recherchiert. Auch die Feldzüge des Duc du Rohan, sowie die nachfolgenden Begebenheiten des Verrats und das geheime Bündnis mit Spanien durch den Obersten Jürg Jenatsch haben ihre Richtigkeit. Die nach der Vertreibung der Franzosen aus Bünden geführten Verhandlungen mit Spanien über das Untertanenland Graubünden, welch den drei Bünden die lang ersehnte Unabhängigkeit, aber konfessionelle Einschränkungen brachte, stimmt mit dem Geschichtsbuch überein.
Obwohl in Meyers Buch "Jürg Jenatsch" alles sehr detailliert und genau beschrieben wird, gibt es einige Ausschmückungen des Künstlers. Eine Jugendliebe zwischen Jürg Jenatsch und Lucretia, in Wirklichkeit hiess sie Katharina von Planta, wird in keinem der Geschichtsbücher erwähnt. Jedoch ist es richtig, dass Jürg Jenatsch deren Vater, Pompejus von Planta, erschlagen hat. Die im Buch beschreibenen Begegnungen von Jenatsch und Lucretia sind historisch nicht belegt. Der Mord am stattlichen Obersten Jürg Jenatsch am 24. Januar 1639 in der Wirtschaft des Pastetenbäckers Fausch, im "staubigen Hüetli", stimmt jedoch weitgehend mit den geschichtlichen Unterlagen überein. Es stimmt, dass zwei Anschläge am selben Abend auf Jenatsch ausgeübt wurden. Es ist richtig, dass Jenatsch den ersten unverwundet überstand. Es ist wahr, dass maskierte Männer den Obersten einkreisten. Dass aber Katharina (Lucretia) von Planta den Volkshelden eigenhändig niedergestreckt hat, entspricht dichterischer Freiheit.
Conrad Ferdinand Meyer hat sich in diesem Werk genau an geschichtliche und geographische Tatsachen gehalten. Als Dichter hat er die Beziehung zwischen Jürg Jenatsch und Lucretia von Planta so in die historischen Gegebenheiten eingebettet, dass das Werk eine Spannung ausstrahlt und Geschichte, Politik und Menschlichkeit in sich vereint. Jürg Jenatsch - in seinem Innersten hin und her gerissen - wird als schillernde Persönlichkeit so dargestellt, wie er in Wirklichkeit war - eine nicht unumstrittene Person. Die Tragik seines Lebens beginnt mit der Jugendliebe zu Lucretia und endet nach turbulenten Jahren mit seinem durch Lucretia heraufbeschworenem Tod.
6. Wie das Buch, Jürg Jenatsch, entstand
Die Zeitschrift "Die Literatur" veröffentlichte den Roman Jürg Jenatsch ab Juli 1874 in Fortsetzung. Für die Buchausgabe überarbeitete Conrad Ferdinand Meyer den Roman noch einmal bis ins Detail. Die lebenslange intensive Zusammenarbeit mit seiner Schwester Betsy lässt heute nicht mehr feststellen wie gross ihr Anteil an der endgültigen Redaktion war. Ende September 1876 erschien die erste Auflage bei Meyers Verleger H. Hassel in Leipzig. Die Zweite Auflage, die schon 1878 notwendig geworden war, verbesserte der begnadete Schriftsteller nochmals. Ab 1882 folgten unveränderte Neuauflagen.
Die Beschäftigung mit dem berühmten Bündner Politiker Georg (Jürg) Jenatsch aus dem Dreissigjährigen Krieg lässt sich über viele Jahre im Leben Meyers zurückverfolgen. Er hatte sich bereits 1853 näher mit dem Bündner Volkshelden befasst. Auf mehreren Reisen durch Graubünden, Padua und Venedig studierte er ab 1866 sorgfältig den landschaftlichen Hintergrund für seinen
Roman Jürg Jenatsch. Zudem trieb er eingehende Quellenstudien und arbeitete mit allen ihm erreichbaren Fachliteraturen. Oft bat er auch befreundete Historiker um Auskunft. Die ersten zwei erschienenen Bücher basierten auf mehrheitlich erfundenen Handlungen. Im dritten jedoch hielt er sich im grossen und ganzen an die geschichtlichen Ereignisse jener Zeit.
Der Gedanke an eine poetische Gestalltung des Lebens des Georg Jenatsch war eine "alte Lieblingsidee" Meyers. Die künstlerische Bewältigung des historischen Stoffes bereiteten ihm jedoch jahrelang Schwierigkeiten. In Zeiten der Resignation fühlte er sich nur fähig, über Georg Jenatsch eine
historisch-biographische Skizze zu fertigen. Er dachte aber auch daran, über den Volkshelden ein Drama zu verfassen. Nach vielem Schwanken jedoch stellte er den Plan eines Romans in den Vordergrund.
Eine Bemerkung vom 26. September 1866 in einem Brief an Haessel erhellt vielleicht das nicht im Einzelnen bekannte Interesse Meyers am Jürg Jenatsch. Dieser Brief bezieht sich auf die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Deutschen Reiches. Meyer sprach davon, dass die Zeit, in der sein Roman spiele, dieselben Fragen aufwerfe, "die jetzt die Welt bewegen: ich meine den Konflikt von Recht und Macht, Politik und Sittlichkeit". Die über alle zeitpolitischen Aktualitäten hinausgehende Relevanz dieser Fragen - die zugleich den Inhalt des Jürg Jenatsch auf seine knappste Formel bringt - mag die von diesem Stoff auf den Dichter ausgehende Faszination erklären.
7. Schlusswort
Ich hätte noch viel mehr über dieses Buch und die Geschichte Graubündens zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges schreiben können. Doch wegen der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand und der mangelnden Unterstützung meiner Lehrfirma in Form von einem Freitag, ist die Arbeit nicht so umfangreich ausgefallen, wie eigentlich geplant. Dennoch habe ich Einblick in die damalige schwierige Lage der Drei Bünde bekommen. Die Spuren dieser Zeit sind auch heute in Form von Konfessionen und Talschaften immer noch vorhanden. Die turbulente Zeit, denen meine Vorfahren ausgesetzt waren, erfüllen mich ein wenig mit Stolz. Wo ist heute eigentlich der Widerstand gegenüber fremden Mächten geblieben? Warum lassen wir uns all das gefallen? Warum finden wir Schweizer nicht wieder zur Unabhängigkeit zurück? Das sind die Fragen, die mich nach dieser Arbeit plagen. Wo ist der Stolz geblieben? Wir sollten alle an die Zeit zurückdenken, wo sich unsere Vorfahren für unser Land eingesetzt haben. Die erreichte Unabhängigkeit sollten wir nicht wegwerfen, um ein Untertanenland zu werden. Wir sind es unseren Vorfahren schuldig, dieses Land nicht aufzugeben und uns gegen Eindringlinge zu wehren. Wir haben das Recht auf unser Land, unsere Freiheit und das Recht auf einen funktionierenden Staat. Ich hoffe, dass man diese geschichtlichen Ereignisse niemals vergisst, dass man sich an die Zeiten zurückerinnert, in der die Schweiz das wurde, was sie heute ist: Ein aus verschiedenen Kulturen zusammengewürfeltes Land, das durch geschriebene Geschichte zusammengehalten wird.
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