DIE LIEBE(vgl. Brief vom 24.11.1772)r />
In diesem Brief beschreibt Werther seine Liebe zu Lotte wie eine \"Scheidewand\" . Sie steht zwischen ihr und ihm. Diese Wand, von der er spricht, entstand, als Albert ankam. Tatsächlich hatte sich Werther in Lotte verliebt, bevor sein Freund sie kennen lernte. Damals war er \"wie ein Träumender, als [er] vor dem Lusthause [stillehielt]\" (...) \"Nie ist mir\'s so leicht vom Flecke gegangen. Ich war kein Mensch mehr. Das liebenswürdigste Geschöpf in den Armen zu haben und mit ihr herumzufliegen wie Wetter, dass alles rings umher verging(...)\" . Das Gefühl erlebte er als eine Naturkraft, die im Herzen beheimatet ist. Nach ihr verlangt sein ganzes Wesen, und so muss er von Lotte in allen Bereichen seiner Person angezogen werden.
Trotzdem zeigt uns diese Traumwelt bald den unerforschbaren, immateriellen, geistigen Charakter der Liebe zwischen diesen beiden Personen. Es ist eine zurückhaltende, zurückdrängende, aber echte Liebe: \"Warum dufte ich mich nicht ihr zu Füssen werfen? Warum durfte ich nicht an ihrem Halse mit tausend Küssen antworten?\"
Durch die ganze Geschichte hindurch erlebt man eine heilige, reine, brüderliche Liebe: es ist keine fleischliche, sondern eine gründliche und wirkliche platonische Liebe. Dennoch ist die Glut, die diese beiden Herzen erwärmt hat, die Spur einer Menge Leiden und Unhöflichkeiten, weil sie irgendwie eine unmögliche Liebe ist.
Beide sind der Religion verschrieben und haben also viele moralische Werte, wie zum Beispiel Respekt, Zuverlässigkeit oder Treue. Tatsächlich wird Werther zwischen seiner Liebe zu Lotte und der Freundschaft zu Albert hin und her gerissen. Erst ganz am Schluss, bei der letzten Begegnung, bricht das Eis, und Werther kommt zu Umarmungen und Küssen. Die Gelegenheit, bei denen Werther und Lotte alleine sind, empfindet er zunehmend als qualvoll. Lottens Liebenswürdigkeit, ihre Sorge um ihn und ihre Güte peinigen ihn. Aber auch die Ambivalenz ihrer Haltung stellt ihn auf eine harte Probe.
Trotzdem schildert Goethe uns die Gefühle der beiden durch ein Spiel der Blicke einerseits und durch die Musik (Lottens Klavierspiel) andererseits: das werden die hauptsächlichsten Mittel, aus denen die Glut ihrer Liebe hervorquillt: \"Heute ist mir ihr Blick tief durchs Herz gedrungen\" . Dieser Blick ist sogar der wichtigste Punkt vor dem Dialog, vor ihrer Mitteilung: \"(...) ich sagte nichts und sie sah mich an\" . Man kann vielleicht sagen, dass der Blick in diesem Fall der Spiegel ihrer Seele ist: es ist ein wunderlicher \"herrlicher\" Blick, \"voll Ausdruck des innigsten Anteils, des süssesten Mitleidens\" . Später wird ihm auch durch diese Schwarzen Augen \"(...) mit dem vollsten Blick der Liebe(...)\" Anerkennung verliehen.
In dem Brief vom 24.11.1772 nach der Szene des lieblichen Austausches durch die Blicke findet Lotte ihre Zuflucht bei dem Klavier. Mit diesem Instrument verleiht Lotte ihrem Gefühl Ausdruck. Tatsächlich wird das Instrument zu einem Liebesboten, zu einem Tröster, der die Vergangenheit wieder auferstehen lässt .
Das Klavier wird von nun an alle Liebes-Szenen begleiten, und es ist auch mit Hilfe der Musik und des Tanzes gelungen, die Flamme zwischen Lotte und Werther wieder lodern zu lassen (auf dem Ball). Man kann auch sehen, dass die Musik das Symbol der Harmonie, der Freude, der Reinheit darstellt, und somit das Symbol der Liebe ist. Die Liebe wird schlussendlich so tief und rein, dass sie Werther zum Selbstmord führt. Er wollte nicht wahrhaben, dass Lotte ihm nie gehören kann, und dass er nie das Vergnügen einer Umarmung, ohne Sünde, kennen wird. Sich in der Nähe der Geliebten zu befinden, wird für ihn unertragbar. Werther fasst eher den Tod ins Auge, als fern von ihr leben zu müssen.
DAS GLUECK(vgl. Brief vom 21.06.1771)
Der Brief vom 21.6.1771 zeigt Werther in einem Zustand des Glücks. Im Mai 1771 hat er darüber nachgedacht, was Glück, angesichts der Eingeschränktheit der menschlichen Existenz, sein könnte . Er hat zwei Möglichkeiten herausgefunden. Die erste ist das Glück als Täuschung. An anderer Stelle spricht Werther von dem \"freundlichen Wahn, durch den Gott uns am glücklichsten mache\" . Die zweite Möglichkeit ist das Glück als Wendung ins eigene innere Glück, weil einer ein Mensch ist und \"seine Welt aus sich selbst\" bildet. Beide Wege haben sich für ihn als nicht gangbar erwiesen. Aber der erste gewinnt jetzt für ihn eine neue Bedeutung.
Im selben Brief ist Werther glücklich, \"und mit mir mag werden was will, so darf ich nicht sagen, dass ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens nicht genossen habe\" . Werther kann nach wie vor in Wahlheim sein und dort das urtümlich-einfache Leben führen, das einen Teil seines Glückes ausmacht. Jetzt ist er doch etabliert. Er ist bei sich zuhause: \"(...) dort fühl\'ich mich selbst und alles Glück, das dem Menschen gegeben ist \" , so sagt er.
Sein Selbstwertgefühl ist davon abhängig, dass die Bedingungen der Aussenwelt seinen inneren Wünschen entsprechen. In diesem Zustand verursacht ihm die \"Einschränkung\" des Menschen, seine alte Wunde, keine Qualen mehr. Er spricht von dem inneren Trieb, sich ihr \"(...) willig zu ergeben, in dem Gleise der Gewohnheit so hinzufahren und sich weder um rechts noch um links zu bekümmern\" . Werther erfährt das Glück durch die Natur. \"Es ist wunderbar (...) O könnte ich mich in ihnen verlieren\" .
Aber Mitte August, der Sommer neigt dem Ende zu, ist eine neue Situation eingetreten. \"Ich eilte hin und kehrte zurück und hatte nicht gefunden, was ich hoffte\" . Als Werther das Ziel erreicht, ist alles wie vorher, und er bleibt in seiner Armut, in seiner Eingeschränktheit.
Viele Elemente zeigen, dass Werther mit diesem einfachen Leben glücklich ist. Zum Beispiel kocht er selbst sein Essen. Er macht es gern. Zwischendurch liest er Homer. \"Wie wohl ist mir\'s, dass mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt\" Er geniesst alle in einem Augenblick .
Die Situation, in die Werther sich hineinbegeben hat, trägt aber von Anfang an alle Züge des unlösbaren Konfliktes.
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