Analyse eines Ausschnittes der Rede von Günter Grass in Stockholm zur Verleihung des Literaturnobelpreises Anlass Am 7. Dezember 1999 bedankte sich der Schriftsteller Günter Grass in Stockholm mit einer Rede für die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis vor der "Royal Academie" Aus den Händen von Schwedens König Karl Gustav erhielt Grass den Preis. In der Begründung hieß es, Grass habe «in munter schwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet». Er ist der neunte deutschsprachige Literatur-Nobelpreisträger. Der Preis wird seit 1901 fast jährlich vergeben. Adressatengruppe Die Adressatengruppe war in diesem speziellen Falle die Hörerschaft im Saale, die er z.
T. indirekt kritisierte (Zeile 62-70: " Jener Teil der Welt, der sich frei nennt,...weil ökologisch begründeter Protest die Geschäfte des global herrschenden Ölgiganten Shell stören könnte."), aber auch denen er dankte.
Natürlich galt die Rede ebenso allen Schriftsteller, Dichter und Zeichner. Er hob besonders die anklagenden Schriftsteller hervor, die in jenen Teilen der Welt gegen ihre Regierung, gegen die Verseuchung ihrer Heimat (Ken Saro-Wiwa mit Mitstreitern) oder gegen irgendwelches Unrecht protestieren und darüber schreiben. Die Schriftsteller, die zum Tode verurteil werden und deren Urteil vollstreckt wird oder die zu schnell vernarbte Wunden aufreißen. Er hebt auch einige Male die Studenten hervor. Der Situationsbezug Die Situation: "Bücher als Überlebensmittel oder das Risiko (des) Schriftstellers" Der Großteil seiner Rede macht die Situation: "Risiken des Schriftstellers" aus. Günter Grass beginnt erst mal mit der Grundfrage: Warum hat der Schriftsteller eigentlich Risiken? Es ist nun mal so, dass die Autoren des bloßen Wortgeschehens den Mächtigen, die stets auf der Siegerbank ihr Platzrecht behaupten, gerne und wohlbedacht in die Suppe spucken, weshalb die Geschichte der Literatur sich analog zur Entwicklung und Verfeinerung der Zensurmethoden verhält.
Weit schlimmer als die Vernichtung dieser oder jener verhassten Bücher, ist die Zunahme der Verfolgung von Schriftstellern bis hin zur angedrohten oder vollzogenen Ermordung in aller Welt. Jener Teil der Welt, der sich frei nennt, schreit zwar empört auf wenn anklagende Schriftsteller zum Tode verurteilt werden und dann deren Urteil vollstreckt wird, geht dann aber wieder zur Tagesordnung über. Aber was macht die Schriftsteller so gefährlich? Selten sind es direkte Verstöße gegen die jeweils herrschende Ideologie, denen Schweigegebot und Schlimmeres folgen. Oft reicht der literarische Nachweis, dass die Wahrheit nur im Plural existiert - wie es ja auch nicht nur eine Wirklichkeit, sondern eine Vielzahl von Wirklichkeiten gibt-, um einen solch erzählerischen Befund als Gefahr zu werten, als eine tödliche für die jeweiligen Hüter der einen und einzigen Wahrheit. Günter Grass vergleicht Wahrheit die nur im Plural existiert mit der Wirklichkeit die nicht NUR ist, sondern auch eine Vielzahl von Facetten hat. Er setzt Wahrheit und Wirklichkeit auf eine Stufe.
Der zweite Grund für die Risiken der Schriftsteller ist, dass sie die Vergangenheit nicht ruhen lassen können. Sie reißen immer wieder neu die zu schnell vernarbten Wunden auf, graben in versiegelten Kellern Leichen aus, betreten verboten Zimmer oder verspeisen heilige Kühe... Das schlimmste Vergehen/Risikogrund jedoch ist und bleibt, dass sie sich in ihren Bücher nicht mit den jeweiligen Siegern im historischen Verlauf gemein machen wollen, sonder sich vielmehr dort mit Vergnügen herumtreiben, wo die Verlierer geschichtlicher Prozesse am Rande stehen, zwar viel zu erzählen hätten, doch nicht zu Wort kommen. Wer ihen Stimme gibt, stellt den Sieg in Frage.
Wer sich mit den Verlieren umgibt, gehört zu ihnen. Übersicht: "Risiko (des) Schriftsteller" ↓ Warum hat der Schriftsteller ein Risiko? ↓ Folgen für verhasste Bücher bzw. deren Autoren ↓ Was macht sie so gefährlich? ↓ Vergleich ↓ Was Schriftsteller machen Der Redner und seine Intension Jeder Schriftsteller ist in seine Zeit hineingeboren, nicht er stellt sich das Thema seiner Wahl, sondern es wird ihm vorgegeben. Die Thematik seiner Bücher ist klar, Grass hat ins seinen Bücher «in munter schwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet» Grass war als Flüchtlingskind in die Zeit des Zweiten Weltkrieges hineingeboren. Nach dem Krieg lagen Trümmer- und Kadaverberge zuhauf. Diese Stoffmasse, die sich, indem er sie abzutragen begann, vergrößerte, war nicht wegzublinzeln.
Der Schriftsteller Grass erzählt außerdem von seinem Beruf, seinem Antrieb zum Schreiben und wie es dazugekommen ist. Welch hausgemachte Hybris vermochte ein Kind zu solcher Verstiegenheit anzustiften? Mit zwölf entschied sich Grass Künstler zu werden und schrieb sogleich, angestiftet von einem Erzählwettbewerb der Zeitschrift der Hitlerjugend "Hilf mit!", seinen ersten Roman "Die Katschuben" in ein Diarium. Beeinflusst durch den familiären Hintergrund seiner Mutter, schreib er von der Zeit des Interregnums in der Wegelagerer und Raubritter Straßen und Brücken beherrschten und sich die Bauern nur durch eigenes Recht, durch Femegerichte zu helfen wussten. [...
] Mit der Veröffentlichung seiner beiden ersten Romane "Die Blechtrommel" und "Hundejahre", mit der dazwischen geschobenen Novelle "Katz und Maus", erfuhr er früh, dass Bücher Anstoß erregen, Wut und Hass freisetzen können. Das prägte zum Großteil auch seine Rede Sein Antrieb zum Schreiben war, neben den üblichen Gründen eines Schriftstellers - üblicher Ehrgeiz, Furcht vor Langeweile ,das Triebwerk der Egozentrik-, die Gewissheit vom unwiederbringlichen Verlust der Heimat als anstiftende Kraft. Grass wollte erzählend die zerstörte, verlorene Stadt Danzig, nein, nicht zurückgewinnen, jedoch beschwören. Das war seine Schreibobsession, dass das Verlorene nicht spurlos im Vergessen versinkt, sondern vielmehr durch die Kunst der Literatur wieder, in all seiner Größe und jämmerlichen Kleinlichkeit, Gestalt gewinnen kann. Die Thematik und sein Gedankengang Man kann die Rede, bzw. sein Gedankengang grob in sechs Abschnitte einteilen: 1.
Anfänge des Schreibens (Zeile5-30) 2. Risiken des Schriftstellers (Zeile 31-102) 3. Gegen das Vergessen (Zeile 103-123 fließender Übergang zu Kapitel 4) 4. Definition seines Berufes (Zeile 124-...
) 5. Verarbeitung des 2.WK (Zeile ...-166) 6.
Antrieb des Autors (Zeile 167- 188) Er kommt dabei immer wieder auf das Risiko des Schriftstellers (Kapitel 2) zusprechen. Sein Risiko ist ihm über Jahrzehnte hinweg treu geblieben. Am Beginn des Auszuges über die Risiken schreibt er wie leidvoll und schlimm das Risiko sein kann, aber am Schluss schreibt er: "Doch was wäre der Beruf des Schriftstellers ohne Risiko?" Vorausgehen die Definition seines Berufes: "Ein Schriftsteller(,Kinder,) ist jemand, der gegen die verstreichende Zeit schreibt." Er meint aber mit diesem Risiko, dass die so akzeptierte Schreibhaltung nicht den Autor abgehoben macht oder ihn gar in Zeitlosigkeit verkapselt, sondern als Zeitgenosse sieht. Der Schriftsteller setzt sich den Wechselfällen verstreichender Zeit aus, er mischt sich ein und ergreift Partei. Die Gefahren solcher Einmischung und Parteinahme sind bekannt: Die dem Schriftsteller gemäße Distanz droht verloren zu gehen: seine Sprache sieht sich versucht, von der Hand in den Mund zu leben; die Enge jeweils gegenwärtiger Verhältnisse kann auch ihn und seine auf Freilauf trainierte Vorstellungskraft einengen, erläuft Gefahr, in Kurzatmigkeit zu geraten.
Also nochmals kurz und bündig: Der Schriftsteller schreibt gegen die verstreichende Zeit, er hat die Gefahr das er die Distanz, durch Einmischung und Parteinahme, verliert und als Zeitgenosse angesehen wird. Er kann durch die gegenwärtige Verhältnisse eingeengt werden und seiner Vorstellungskraft beraubt werden. Mittel der Rede Günter Grass benutzte in seiner Rede viele Verschachtelung, findet aber von seinen kleinen gewollten Abschweifungen immer wieder gekonnt zurück. Er stellt überzeugend seinen Standpunkt dar, ist absolut glaubwürdig, hat einen differenzierten Bildungshintergrund, angemessenes Spezialwissen, Koordinationsvermögen und die Fähigkeit zur klaren und verständlichen Vermittlung, sprich eine ausgeprägte Sachkompetenz. Zuordnung zu einem Redetyp In diesem Falle war es eine genus demonstrativum, eine Festrede. Die Rede war auf ein Ereignis, seine Würdigung mit dem Literaturnobelpreis bezogen.
Dennoch hat diese Rede Züge einer genus deliberativum, einer politischen Rede, da er durch eindrucksvolle Veranschaulichungen, durch argumentativ schlüssige Darstellungen die Zuhörer für seinen Standpunkt gewinnt.
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