Seit dem 9. Jahrhundert weist die Bildkunst in mancherlei Variationen antijüdische Motive auf: Kirche und Synagoge sind durch weibliche Personen - von zunächst durchaus gleichem Aussehen und gleicher Anmut - dargestellt, die unter dem Kreuz stehen. Während die Kirche sich dem vom Kreuz ausgehenden Heil zuwendet, wendet sich die Synagoge (manchmal mit einem Schleier über den Augen) vom Kreuz ab. Oder: Ecclesia steht auf der Seite des Lebens, Synagoga auf der Seite des Todes. Oder: Die Kirche wird gekrönt, die Synagoge verliert ihre Krone.
Wie die bildende Kunst des späten Mittelalters von zunehmender Gewaltbereitschaft den Juden gegenüber kündet Eine besonders bemerkenswerte Variante des Motivs "Der Gekreuzigte flankiert von Synagoge und Kirche" (aber nicht die einzige dieser Art) findet sich in der Andreaskirche von Thörl (Kärnten).
Das Gemälde wurde um 1490 von Thomas von Villach geschaffen. Das Kreuz teilt das Bild in eine Seite des Heils, der sich der Gekreuzigte zuwendet, und eine Seite des Unheils. Auf der Seite des Heils befinden sich Ecclesia und Maria. Hier wächst auch der Baum des Lebens, der Hostien als Früchte trägt. Mit ihrem Mantel schirmt Maria die Begnadeten, vor allem Papst und Kaiser. Auf der anderen Seite des Kreuzes befinden sich Synagoga und Eva. Synagoga wird mit verbundenen Augen dargestellt - sie ist der Erkenntnis, daß Jesus der Messias sei, unfähig. Ihre linke Hand trägt den blutenden Kopf eines Bockes. In der griechischen Mythologie Reittier der Aphrodite, galt der Bock als Verkörperung ungezügelter, tierischer Sexualität. Neben der Synagoge steht die nackte Eva als Verkörperung der Erbsünde. In der einen Hand hält sie einen Apfel, den sie vom Baum der Erkenntnis gepflückt hat, um den sich die Schlange windet, in der anderen Hand einen Totenkopf. Unter den beiden Frauengestalten: die Hölle.
Aus den vier Enden des Kreuzes wachsen Hände. Die obere öffnet das Himmelstor, die untere zerschlägt mit einem Hammer das Tor zur Hölle. Eine Hand des Querbalkens krönt Ecclesia, die andere führt ein Schwert, das von oben den Kopf der Synagoga und ihre Brüste durchstößt.
Welche Gefahren die Osterzeit im Spätmittelalter für die Juden mit sich brachte Solche Darstellungen sowie Passionsspiele, die in unerträglicher Ausführlichkeit die Leiden und den Tod Christi darstellten, verfehlten nicht ihre Wirkung auf das breite Publikum. Mitunter wurde die Marter Christi derart wirklichkeitsnah gespielt, daß die Darsteller des Heilands die damit verbundenen Strapazen nicht aushielten und tatsächlich ihren Geist aufgaben.
Psychologische Spekulationen über die in diesem speziellen Zusammenhang erlaubte Lust am Verhöhnen, Quälen und schließlich Töten Gottes sparen wir uns.
Wenn die in solchen Spielen (wie etwa dem Alsfelder Passionsspiel) dargestellten Juden schließlich mehrere Tage lang Jesus verhöhnt oder gar mit Hand angelegt hatten, während er immer neue, phantasievoll ausgedachte Qualen litt, war das Publikum in derartige Raserei versetzt, daß ein Gerücht, die Juden hätten den Mord an Jesus an einer geweihten Hostie oder einem Christen wiederholt, nicht selten zu einem realen Massaker an den realen Juden führte. Und nicht selten entsprang ein neuer Kult um einen neuen Lokalheiligen einem solchen österlichen Aufruhr.
Wie das Mittelalter noch lange nachwirkte Wenn so ein Heiliger - etwa der selige Simon von Trient - einmal geschaffen war, mußte an der Geschichte auch etwas dran sein: 1893 argumentierte Pfarrer Joseph Deckert (der einem Platz in Wien Währing seinen umstrittenen Namen gegeben hat) in einem seiner insgesamt 13 antisemitischen Ergüsse, daß die seinerzeitige Hinrichtung von 14 Juden zu Recht erfolgt sein müsse, denn:
"Ein Kirchenfürst, der Bischof von Trient hätte einen entsetzlichen Justizmord begangen gegen die unschuldigen Juden; auch der päpstliche Stuhl hätte sich durch die Approbation der Prozeßacten, durch die Gestattung der Verehrung des hl. Simon in Trient an anderen Orten, und durch dessen Eintragung in das Martyrologium Romanum dieses Frevels mitschuldig gemacht und in einer auf den Kult bezüglichen Angelegenheit geirrt."
Derlei Irrtümer sind nach Deckert undenkbar.
1965 hob die Ritenkongregation in Rom nach neuerlicher Überprüfung der Prozeßakten von 1475 die Verehrung des "Beatus Simoninus" auf.
|