3.1 Voraussetzungen
Für das reaktive Krafttraining ergeben sich einige Konsequenzen, sowohl was den langfristigen Trainingsprozeß angeht, als auch für die einzelne Trainingseinheit.
Die größte Gefahr des plyometrischen Trainings liegt sicherlich in dem Problem der Amortisation auftretender Beharrungskräfte. Bei einem Untrainierten, der einen Tiefsprung aus
1 m Höhe ausführt, sind die nötigen Bremskräfte in der exzentrischen Phase von der Sprungmuskulatur allein nicht aufzubringen. Ein Großteil dieser Kräfte muß somit von Bestandteilen des passiven Bewegungsapparates aufgefangen werden, was zu Schädigungen insbesondere der Gelenkstrukturen führen kann.
WEINECK (1987) schließt deshalb auch: "Es [das plyometrische Training] setzt eine gut entwickelte Kraft und einen entsprechend vorbereiteten aktiven und passiven Bewegungsapparat voraus. Es ist deshalb nicht für das Kinder- und Jugendtraining bzw. das Anfängertraining geeignet."
Leider wird an dieser Stelle auf eine genauere Untersuchung verzichtet. Der sehr pauschale Hinweis auf den Verzicht auf Reaktivkraftschulung im Kinder- und Jugendtraining wird nicht durch eine Angabe des erforderlichen Trainingszustands unterstützt.
Allein die Fähigkeiten des passiven und des aktiven Bewegungsapparates sind entscheidend für die Verträglichkeit und damit die Sinnhaftigkeit eines solchen Trainings.
LETZELTER/LETZELTER (1990) werden in diesem Zusammenhang schon etwas konkreter. Sie fordern ein hochentwickeltes Maximalkraftniveau als Voraussetzung für reaktive Übungen und beziehen sich auf ZANON , der als Mindestmaß eine relative Kraft rK=2 annimmt. Allerdings muß die Frage erlaubt sein, warum das Leistungsvermögen in der Tiefkniebeuge (hauptsächlich beteiligt ist der M. quadriceps femoris, der M. gastrocnemius wird nur am Rande erfaßt) der zuverlässige Indikator für die Verträglichkeit von Tiefsprüngen sein soll. LETZELTER/LETZELTER lassen sich im folgenden ausführlich über die empfehlenswerten Fallhöhen im Tiefsprungtraining aus, aber auf Besonderheiten der technischen Ausführung gehen sie nicht ein. Es fehlen somit weiterhin sinnvolle Hinweise für die Trainingspraxis.
So scheint mir eine genaue Bewegungsanalyse des Sprungverhaltens ein weitaus zuverlässigerer Indikator für die Verträglichkeit reaktiver Sprungformen zu sein als das Maximalkraftniveau. Schlägt bei dem Übenden vor der konzentrischen Phase des Absprungs die Ferse durch, so ist das ein offensichtliches Zeichen, daß die Fallhöhe zu hoch ist, bzw. der Trainingszustand für reaktive Sprungformen noch nicht ausreicht.
Das sagen auch SCHMIDTBLEICHER/ GOLLHOFER: "... können je nach Belastungshöhe "Sprünge auf der Stelle" bis hin zu "Sprüngen aus der "Grenzhöhe" (Höhe, bei der die Fersen den Boden gerade noch nicht berühren)" verwendet werden. Ein Durchschlagen der Fersen auf den Boden ist wegen der hohen Belastungsspitzen für den Knochen- und Bandapparat schädlich."
Es ist einzuräumen, daß bei bestimmten leichtathletischen Übungsabläufen (z.B. Hochsprungtraining) ein Aufsetzen des ganzen Fußes nicht vermieden werden kann, doch sollten entsprechende Bewegungen im Techniktraining und nicht unter erhöhten Belastungen bei der Schulung der reaktiven Kraftkomponente durchgeführt werden.
Zumindest ist das Konzept der "Grenzhöhe" für die Beschreibung der sinnvollsten Fallhöhe einsichtiger als die starren Höhen, die bei LETZELTER/LETZELTER (1990) und BOSCO/PITTERA (1982) verwendet wurden.
Die geforderte technische Präzision der Sprungausführung wird bei allen Autoren gefordert und erklärt sich aus dem reflexhaften Mechanismus des Sprungablaufs. Darin impliziert ist eine ausreichende Aufwärmarbeit, nicht nur aus verletzungsprophylaktischer Sicht, sondern auch auf Grund der Tatsache, daß nur ein optimal innervierter Muskel in der Lage ist, Adaptionserscheinungen auf reaktive Trainingsinterventionen umzusetzen.
3.2 Anwendungsbereiche
Das Tiefsprungtraining ist sicherlich so etwas wie das "Paradebeispiel" des plyometrischen Krafttrainings. Die Schulung der Reaktivkraftkomponente macht aber prinzipiell in allen Sportbereichen Sinn, in denen eine nicht-maximale Last (vom Diskus bis zum eigenen Körpergewicht) möglichst explosiv bewegt werden soll. Hier sind zunächst alle Sportarten der Leichtathletik zu nennen, die nicht dem Ausdauerbereich zuzuordnen sind. Aber auch für die großen Mannschaftssportarten und andere Sportarten mit schnellen Bewegungsformen macht ein plyometrisches Krafttraining Sinn. Wichtig ist nur zu bedenken, ob bestimmte Bewegungen eine Gefährdung für den passiven Bewegungsapparat beinhalten. Die Möglichkeit dazu muß stets mitkalkuliert werden, da die auftretenden Kraftspitzen immens hoch sind, wie SCHMIDTBLEICHER/GOLLHOFER 1985 in Laborversuchen feststellten.
3.3 Belastungsnormative
Zu den Belastungsparametern des Tiefsprungtrainings äußert sich WEINECK und bezieht sich dabei auf Empfehlungen von EHLENZ/GROSSER/ZIMMERMANN :
Die Intensität gibt er mit "100% und mehr" an. Bei Betrachtung der hohen Beharrungskräfte, die in der exzentrischen Arbeitsphase abgefangen werden, sind es eher deutlich mehr als 100% des konzentrischen Maximalkraftniveaus, zumal trainierte Sportler nach einem Tiefsprung deutlich höher abspringen können als ohne Vordehnung im Stand.
Das wird auch von SCHMIDTBLEICHER/ GOLLHOFER bestätigt: "Vergleicht man die erreichte Sprunghöhe von einem in vertikaler Richtung durchgeführten beidbeinigen Sprung mit derjenigen, die erzielt wird, wenn ein Tiefsprung aus 20 bis 40 cm Höhe dem Vertikalsprung vorausgeht, wird man feststellen, daß in der Regel mit der zweiten Anordnung größere Sprunghöhen realisiert werden."
Als Wiederholungszahl gibt WEINECK 6-10 vor bei 6-10 Sätzen. Diese Werte scheinen mir recht hoch zu sein für ein reaktives Training. Es müßte erwiesen werden, daß diese Häufung von Sprüngen das Trainingsziel nicht in den Bereich der Sprungausdauer verlegt. WEINECK selbst weist in diesem Zusammenhang auf ein unbedingt notwendiges explosives Bewegungstempo hin. VIITASALO et al. geben bei einem zehnwöchigen Zyklus Trainingsumfänge von 6 Sprüngen bei 5 Sätzen, bzw. 8 Sprünge bei 6 Sätzen an, womit eine signifikante Verbesserung der Sprunghöhe erreicht wurde.
Eine Pausengestaltung muß beim Reaktivkrafttraining zur vollständigen Erholung ausgelegt sein. Die Pausenlänge wird bei WEINECK mit 2 min angegeben. RADCLIFFE/FARENTINOS planen mit 1-2 min , was mir etwas zu niedrig erscheint. Wahrscheinlich ist bei 5-6 Sätzen eine progressive Pausengestaltung sinnvoller, die aber die 2 min-Grenze nicht unterschreiten sollte.
3.4 Effizienz
Das plyometrische Training hat sich gerade im Bereich der Beinmuskulatur (Sprint und Sprung) bewährt. In einer Vergleichsuntersuchung haben VIITASALO et al. 1981 die Trainingswirkungen unterschiedlicher Interventionen auf die Maximalkraft untersucht. Dazu trainierten drei Versuchsgruppen im Maximalkraftbereich (1. Gruppe: 75% exzentrisch/ 25% konzentrisch; 2. Gruppe: 50% exz./50% konz.; 3. Gruppe: 100% konz.), die vierte Gruppe absolvierte ein Tiefsprungtraining, das auch die fünfte Gruppe, allerdings mit Gummibandunterstützung, durchführte. Im Bereich der konzentrischen Maximalkraft verbesserten sich die drei Gewichttrainingsgruppen deutlich, während die Sprunggruppen stagnierten und nur durch zusätzliche Übungen ihr Grundkraftniveau halten konnten.
Aber im Bereich der Sprunghöhe verzeichneten die beiden Gruppen, die das Tiefsprungtraining absolvierten, signifikante Gewinne (die Gummibandunterstützung erwies sich allerdings als wenig sinnvoll), während die Gewichttrainingsgruppen schlechtere Werte als zu Beginn der Versuchsreihe aufwiesen.
BOSCO/PITTERA berichten von einer 20 bis 30%igen Steigerung der Sprunghöhe von Spielern der italienischen Volleyballnationalmannschaft, die ein achtwöchiges plyometrisches Tiefsprungtraining absolviert hatten.
WEINECK gibt zu bedenken, daß Sportler, die bereits ein hohes Maß an intramuskulärer Koordination erreicht haben, durch plyometrisches Training keine großen Zuwächse mehr erwarten können, wenn nicht ein Kraftaufbautraining vorgeschaltet ist.
Diese These, daß das Reaktivkrafttraining hauptsächlich auf die Verbesserung der intramuskulären Koordination wirkt, kann durch HOWALD's Erkenntnis unterstützt werden:
"Eine Umwandlung von Typ I-Fasern zu Typ II-Fasern ist durch Training kaum zu erzwingen, weil in den Ruhepausen zwischen zwei Trainingseinheiten die Typ I-Fasern unweigerlich wieder unter dem ihnen eigenen Impulsmuster mit niederfrequenter Dauerstimulation stehen [und damit in der ihrer Struktur erhalten bleiben]."
Außerdem findet durch plyometrisches Training kein Muskelzuwachs statt, wie VIITASALO et al. gezeigt haben (s.o.).
|