8.1 Erklärung der Fragestellung />
Integrieren, integrierte, hat integriert:
1. etwas vereinheitlichen, zu einem ganzen zusammenschließen; ein integrierender (zur Vollständigkeit erforderlicher, wesentlicher, unerläßlicher) Bestandteil...(Klappenbach, R., 1974, S.334)
Lange Zeit war Ecstasy bekannt dafür, daß es ausschließlich in der Techno-Szene benutzt wurde. Lediglich wenige Personen gebrauchten es für mehr oder weniger professionelle Psychotherapien, oder um einen tieferen Einblick in ihre Emotionswelt zu bekommen. Ein integrierter Drogengebrauch beinhaltet eine in sich geschlossene Szene, in der eine bestimmte Droge in einem speziellen Kontext benutzt wird. In einem solchen Fall sind die Situationen des Gebrauchs ritualisiert, laufen also immer wieder nach dem gleichen Muster ab, insofern, als das die Droge nur in bestimmten Situationen zweckgebunden eingesetzt wird. In diesem Fall würde dies bedeuten, daß die Anhänger dieser Szene zu Techno-Parties gehen, dort Ecstasy konsumieren und danach in ihren Alltag, in dem die Droge keinen Platz hat, zurückkehren. Ob sich Ecstasy zusammen mit Techno zu einem integrierten Ganzen zusammengefügt und diesen Zustand beibehalten hat, soll in diesem Kapitel beantwortet werden.
8.2 Erläuterung des Ritualkonzepts
Das Ritualkonzept wurde in den 70er Jahren entwickelt. 1977 führten Zinberg und Harding Interviews mit Konsumenten von Haschisch, Mariuhuana, psychedelischen Drogen und Opiaten über deren Konsumgewohnheiten durch. Aus Zinbergs langjähriger Arbeit ergab sich eine für ihn überaus wichtige Fragestellung: Weshalb verlieren manche User die Kontrolle über ihren Drogenkonsum, während andere in der Lage sind, das Konsumieren von Drogen mehr oder weniger in ihr Leben zu integrieren.
Sie kamen zu dem Ergebnis, daß in den drogenbenutzenden Subkulturen Rituale existieren, die dem einzelnen die Möglichkeit geben, einen kontrollierten Umgang mit der Droge zu betreiben. Unter dem Begriff Ritual verstehen Zinberg und Harding in diesem speziellen Sinne:
"stylized, prescribed behavior surrounding the use of a drug, the methods to procure and administer the drug, the selection of physical and social settings for use, activities after the drug is administered and methods of preventing untowards drug-effects.\"
(Zinberg / Harding, zitiert nach Krollpfeiffer, K., 1995, S.40)
Eine allgemeine Definition des Begriffes liefert Meyer\'s großes Taschenlexikon:
"Ritual: in der Soziologie Bezeichnung für eine besonders ausdrucksvolle und standardisierte individuelle oder kollektive Verhaltensweise.
(ebd., 1987, S.278)
Die Theorie des Ritualkonzepts geht davon aus, daß solange sich ein User einer Droge an ein feststehendes, vorgeschriebenes Ritual hält, was auch den Ort der Drogeneinnahme festlegt und verschiedene Verhaltensweisen unter dem Drogeneinfluß beschreibt, einen gewissen Schutz vor einer Suchtentwicklung bieten kann. Dies hängt damit zusammen, daß der Rahmen für ein Ritual erst geschaffen werden muß, der Konsument also nicht zu jeder Zeit zur Droge greifen kann. Der Begriff des Rituals beinhaltet ebenfalls eine "Nicht-Alltäglichkeit\" beim Benutzen der Droge, eine Abgrenzung vom Alltag also, da es ansonsten nur noch eine Gewohnheit wäre, und kein Ritual mehr.
Krollpfeiffer führt für die Wirksamkeit des Ritualkonzepts die Tatsache an, daß die Zahl der Zwischenfälle mit LSD im Laufe der Zeit weniger geworden seien, was nicht daran läge, daß weniger Leute LSD nähmen. Vielmehr hätte dies damit zu tun, daß in der LSD-benutzenden Subkultur etablierte Rituale, Regeln und Sanktionen von einer Generation von Usern an die nächste weitergegeben werden. Als Beispiel führt sie die Betonung eines guten und "sicheren\" Settings oder die Vorbereitung auf die Drogenerfahrung an (Vgl. Krollpfeiffer, K., 1995, S.40).
8.3 Bieten Rituale einen Schutz vor Drogenmißbrauch?
Was hat dies mit den Anhängern von Techno-Musik und Ecstasy zu tun? Im Grunde genommen einiges, denn beim Drogenkonsum in der Techno-Szene haben viele Verhaltensweisen einen rituellen Charakter.
"Unter denjenigen, die dem engeren Kern der Techno-Szene zuzuordnen sind und Ecstasy konsumieren, haben sich gewisse Rituale entwickelt mit nicht zu unterschätzenden Schutzfunktionen.\"
(Kuhlmann, T. in Jugendhilfe 6/96, S.31)
Die Wahl des Ortes der Drogeneinnahme z.B.. Der typische Platz des Ecstasy-Konsumenten ist in der Regel eine Techno-Disko, bzw-Party. Die anschließenden Verhaltenweisen sind kollektiv standardisiert: Man tanzt viel, unterhält sich, tauscht Zärtlichkeiten aus, verbal oder körperlich, achtet darauf, genug zu trinken, möglichst keinen Alkohol, nimmt nach einiger Zeit vielleicht noch etwas mehr Ecstasy und kehrt nach dem Verbringen des Chill-Outs in seinen Alltag zurück.
Das wichtige Element des Ritualkonzepts ist es, die Droge immer in einem speziell für sie geschaffenen Rahmen einzunehmen und sie nicht mit zurück in den Alltag zu nehmen. Sobald mit dem Konsum keine rituellen Verhaltensweisen mehr verbunden sind und die Droge auch in ganz alltäglichen Situationen konsumiert wird, geht die suchtvorbeugende Wirkung des Rituals verloren.
Die Bedeutung dieser Rituale darf allerdings nicht überbewertet werden. Die Theorie funktioniert nur bei sehr verantwortungsbewußten Drogengebrauchern. Wie oben bereits angedeutet, kommt es bei der suchtschützenden Wirkung des Rituals sehr auf die Häufigkeit desselben an. Für einen Techno-Anhänger, der jede Woche von Freitag bis Sonntag in Diskotheken verweilt und dort an jedem dieser Abende Ecstasy nimmt, hat das Ritualkonzept keine Bedeutung. Bei einem solchen Ecstasy-Konsum kann man allerdings auch nicht mehr von einem Ritual sprechen, sondern eher von einer Gewohnheit.
Die beschriebene Form des ritualisierten Ecstasy-Konsums trifft zwar immer noch auf eine zahlenmäßig große Gruppe von Gebrauchern zu, aber es gibt inzwischen so viele Formen des Ecstasy Ge- und Mißbrauchs, so daß der Standardisierung des Gebrauchs bei weitem nicht mehr die Bedeutung zukommt, wie es vor wenigen Jahren der Fall war.
Für moderate Ecstasy-Gebraucher kann das Ritualkonzept einen gewissen Suchtschutz bieten. Wie weit dieser reicht, hängt allerdings in starkem Maße von den Konsumgewohnnheiten des Users ab. Solange dieser den Besuch einer Party in Verbindung mit der Droge als eine ritualisierte Verhaltensweise beibehält, die in ihrer Häufigkeit nicht ansteigt und etwas besonderes bleibt, was nicht jedes Wochenende stattfindet, ist eine suchtverhindernde Wirkung vorhanden. Aufgrund der Veränderungen in der Techno-Szene verliert die Theorie des Ritualkonzepts allerdings an Bedeutung.
8.4 Aktuelle Veränderungen in der Techno-Szene
Die in Kapitel 5.4 beschriebene Entwicklung des Techno von der Subkultur zur kommerziellen Massenbewegung war nicht die einzige Veränderung der letzten fünf Jahre in diesem Bereich. Durch den zunehmenden Bekanntheitsgrad der Musik, traten auch die damit verbundenen anderen Dinge ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, nämlich der Besuch von Techno-Parties und die Droge Ecstasy. Ecstasy ist kein unmittelbar bedingender Faktor von Techno, und es sind auch nicht alle Besucher von Parties Drogengebraucher.
Aber ohne Ecstasy würde die heutige Techno-Szene nicht in der Form existieren, wie sie es tut. Und ohne Techno hätte Ecstasy nicht die Verbreitung mitgemacht, wie sie es effektiv getan hat. Viele der heutigen Besucher von Parties sind im Grunde genommen keine Anhänger von Techno-Musik, sondern haben gemerkt, daß die Mischung der Droge und der Musik eine für sie sehr angenehme ist, sie würden zu Hause, wenn überhaupt, nur sehr selten Techno-Musik hören. Andere konsumieren Ecstasy ganz ohne Techno, für sie hat die Musik keine Bedeutung, und sie würden auch auf keine Techno-Party gehen.
"In den letzten Monaten ist zunehmend zu beobachten, daß Ecstasy auch von Personen genommen wird, die eher dem Randbereich der Techno-Szene zuzuordnen sind, sich tendenziell eher keiner Szene zugehörig fühlen und damit auch nicht in bestimmte Rituale eingebunden sind.\"
(Kuhlmann, T. in Jugendhilfe 6/96, S.32)
Bei solchen Konsumformen kann man immer öfter eine Neigung zu tendenziell riskantem Probierverhalten finden. Problematisch hierbei ist allerdings, daß der Kenntnisstand über Wirkungsweisen und Gefahren nicht so hoch ist wie bspw. in der Techno-Szene. Besonders problematisch sind dabei Konsumformen, in denen der Konsument in keine Gruppe eingebunden ist und ohne ausreichende Kenntnis und Sozialkontakte Ecstasy nimmt, um in irgendeiner Form die erwünschte und von den Medien inzwischen in schillerndsten Farben beschriebene Wirkung zu spüren.
Es finden sich immer mehr Anzeichen dafür, daß Ecstasy die Grenzen der Szene überwunden hat, und auch in anderen Szenen eine immer größer werdende Verbreitung findet. Die Überschneidungen zwischen den einzelnen Szenen werden immer mehr. So kann man in dem Heavy-Metal Magazin "Metal-Hammer\" im Vorwort einen Bericht eines Redakteurs über genau dieses Phänomen lesen, wo diese Überschneidungen beschrieben werden, und in dem der Autor für mehr Toleranz zwischen den Szenen aufruft. In immer mehr Clubs, in denen früher ausschließlich Rock-Musik gespielt wurde, kann man inzwischen auch Techno-Tracks hören. Beispiele hierfür sind Lieder der Gruppe "Underworld\" und "Prodigy\", deren Techno-, bzw. Breakbeat-Tracks auch in der Dortmunder Rock-Disko "Spirit\" zum festen Repertoire der DJ\'s gehören. Bei vielen Musikprojekten werden Elemente der Techno-Musik mit Rock-, bzw. Hardcore-Musik vermischt, Beispiele hierfür sind Gruppen wie "Chemical-Brothers\" und wiederum "Prodigy\". Es finden immer mehr Annäherungen statt. Mitglieder von reinen Rockgruppen singen in ihren Liedern über den Ecstasy-Konsum (Kory Clarke von der Punk-Rock-Gruppe "Warrior Soul\" im Lied "Trippin\' on Ecstasy\"). Leute, die immer gesagt haben, daß Techno-Musik nie etwas für sie sein würde, fangen an, sich dafür zu interessieren.
Und abgesehen von den Überschneidungen im musikalischen Bereich steigt die Anzahl derer, die Ecstasy unabhängig von Techno konsumieren. Auch die Verbreitung von Speed steigt an, besonders in "Rocker-Kreisen\", wie es auch A. Schroers von der DROBS in Münster bestätigte, mit dem ich im Vorfeld dieser Arbeit ein telefonisches Gespräch führte.
Nicht nur Techno-Anhänger meinen, mit Ecstsy oder Speed besser feiern zu können, der Konsum der sog. Techno-Drogen ist längst aus seinem ursprünglichen Umfeld herausgetreten und zieht immer weitere Kreise. In Bezug auf diese Drogen kann man mittlerweile nicht mehr von einem integrierten Drogengebrauch reden. Dies war vielleicht bis vor wenigen Jahren der Fall, aber heutzutage verhält es sich anders.
Denn auch in der Techno-Szene selber hat sich die Art und Weise des Ecstasy-Konsums geändert. Nicht nur, daß der Beigebrauch von Alkohol und der Mischkonsum mit anderen Drogen stark angestiegen ist, das Beziehungsgeflecht unter den Techno-Anhängern hat sich ebenfalls geändert:
"Früher, als die gesamte Szene noch viel kleiner war, waren die Beziehungen untereinander viel stärker ausgeprägt, man achtete mehr auf die anderen. Die Szene war familiärer und übersichtlicher.\"
(Kuhlmann, T., eigene Aufzeichnung der Fachtagung Ecstasy, 17.02.97)
Jetzt aber, so Kuhlmann, kämen immer mehr Leute zu Techno-Parties, die einerseits von der Alterstruktur viel jünger seien als früher, und auf der anderen Seite einen unreflektierten Drogenkonsum betreiben. Die gefestigten Beziehungsstrukturen, die durch die gegenseitige Kontrolle, Gespräche und das "aufeinander-aufpassen\" einen gewissen Suchtschutz bieten, würden mehr und mehr in den Hintergrund treten, während dem unkontrollierten Drogenmißbrauch immer mehr Bedeutung zukäme. Seiner Meinung nach müssten an dieser Stelle neue Präventionsansätze gefunden werden, um dieser Entwicklung entgegenzutreten.
|