Auch wenn es derzeit so scheinen könnte, als ob in den industrialisierten Ländern, die Zugang zu den modernen Virustatika gegen HIV haben, die Bedeutung der Aidsprävention abnähme, bleibt diese unverändert der wesentlichste Aspekt im Kampf gegen die Pandemie. Dies gilt natürlich ganz besonders für Entwicklungsländer, da sie einen Zugang zu den neuen Medikamenten nicht erwarten können.
Gleichzeitig haben diese Länder Probleme, die wir in den industrialisierten Ländern nicht finden und die eine Prävention sehr erschweren. Das sehr niedrige Bildungsniveau (Analphabetentum) bei grossen Teilen der Bevölkerung zwingt uns, spezielle Kommunikationsmittel zu benutzen, um die Informationen weiterzugeben. Hierzu zählt vor allem das persönliche Gespräch mit dem einzelnen. Dadurch wird Prävention sehr personalintensiv, zumal die in Industriestaaten üblichen Informationsquellen wie Radio und Fernsehen noch oft nur begrenzt zugänglich sind.
Neben diesen technischen Problemen, die große finanzielle Mittel erforderlich machten, finden wir eine andere wesentliche Schwierigkeit, die Prävention zu einer sehr sensiblen Aktivität werden lässt. Es handelt sich um die Vorstellung über die Ursachen von Krankheit. Das in industrialisierten Ländern vorherrschende funktionelle Modell, das den Körper bei unzureichendem Schutz von einem Erreger angegriffen sieht und Krankheit als Reaktion des Körpers erklärt, ist in traditionellen Vorstellungen so nicht vorhanden. Hier wird Krankheit eher als etwas gesehen, das durch soziale und spirituelle Faktoren hervorgerufen wird. Die geläufigen Präventionsbotschaften nutzen dann sehr wenig, da sie auf das Weltbild des einzelnen gar nicht eingehen. Auch dies wieder führt zu sehr personalintensiven Aktivitäten, wenn man die Zielgruppe mit für sie angepassten Informationen erreichen will.
Weiter stellt die extreme Armut vor allem von Frauen und Kindern ein grosses Problem für eine wirkungsvolle Prävention dar. Die durch die Armut bedingte Not zwingt viele, ihren Körper zu verkaufen und Risikoverhalten zu praktizieren, obwohl sie sich der Gefahren bewusst sind.
Das wesentlichste Problem bei der Prävention in Entwicklungsländern findet sich jedoch teilweise selbst noch in den Programmen der Industrieländer: Prävention ist ein Prozess und keine Aktion. Dies scheint längst nicht allen Entscheidungsträgern bewusst zu sein. Zwar müssen viele und immer wieder neu angepasste Aktionen durchgeführt werden, um einen erfolgreichen Prozess zu gestalten, aber die Bedeutung des Prozesses selbst wird oft zugunsten der Einzelaktivitäten vernachlässigt.
Dieser Aspekt ist in den meisten Entwicklungsländern bis jetzt wenig oder gar nicht berücksichtigt worden: Er hätte eine gut zusammenhängende Planung erfordert und vor allem ausreichende Mittel, um den Prozess beständig weiterführen zu können. Sehr auffällig wird dieser Mangel in Ländern, die durch intensive Kampagnen zwar ein hohes Informationsniveau über Risiken und Risikovermeidung bei der Bevölkerung erreicht haben, die dann aber der Schwierigkeit begegnen, die Kampagne so weiterzuführen, dass auch Verhaltensänderungen erreicht und die neuen Verhaltensweisen dann beibehalten werden.
Die Schweiz war bisher in der glücklichen Lage, ein sehr prozessorientiertes Präventionsprogramm durchführen zu können, das auch den erwünschten Erfolg brachte. Jetzt muss man sicherstellen, dass der Prozess weitergeht, und zwar angepasst an den bestehenden Bedarf. Gerade aus der Sicht der Entwicklungsländer ist zu hoffen, dass die erfolgreichen Präventionskampagnen in den industrialisierten Ländern kontinuierlich weitergeführt werden und so ein Erfahrungsfundus entsteht, der von ihnen in angepasster Form übernommen werden kann.
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