Das Mittelalter markiert die Anfänge und die Blütezeit des europäischen Städtewesens. Mitte des 13. Jahrhunderts ist die Entwicklung der deutschen Stadt soweit voran geschritten, daß sie als Grundlage für eine idealtypische Charakterisierung dienen kann. Die nachfolgenden Kennzeichen der voll entwickelten Stadt des Mittelalters gelten aber nur als Orientierung.
8.1 Wirtschaftlicher Aspekt
Die Wirtschaft wird durch Handel und gewerbliche Produktion bestimmt. Ein Warenaustausch findet auf dem städtischen Markt, in Form von Jahrmarkt, Messe - Fernhandel (Verteilerfunktion), Nahmarkt (täglicher oder wöchentlicher Markt) statt.
Die Stadt versucht diese Märkte in ihren Mauern zu konzentrieren. Dabei kommt ihr als Abnehmer des landwirtschaftlichen Überschusses eine wichtige Funktion zu. Als Zentrum der handwerklichen und gewerblichen Produktion strebte sie eine Monopolstellung an. Eine qualifizierte handwerkliche Arbeit wurde in der Stadt gefördert, während auf den Dörfern nur Handwerker benötigt wurden, die für das bäuerliche Leben notwendig waren, z.B. der Schmied.
Die Arbeitsteilung in der Stadt brachte besonders dem Bürgertum Vorteile. Die ökonomische Vorrangstellung der Stadt wurde durch eine politische Vormacht erweitert. Trotz allem kann eine scharfe Trennung der Wirtschaft auf dem Land und der Stadt nicht vollzogen werden, da das Wirtschaftsleben in den Städten zum Teil erheblich von der landwirtschaftlichen Betätigung abhing (Ackerbürgertum).
8.2 Rechts- und verfassungsgeschichtlicher Aspekt
Die Stadt besaß einen eigenen Rechts- und Friedensbereich. Dieser bezog sich primär auf die Räumlichkeit innerhalb des städtischen Mauerrings. Hier galt das Stadtrecht und die Autorität des Stadtgerichtes. Das Stadtrecht bezog sich nicht auf den einzelnen Bürger, sondern auf die Gesamtheit der Bürger in der Stadt. Sie bildeten eine Rechtsgemeinschaft, eine Bürgerschaft. Die Bürgerschaft wurde nur von den Bewohnern der Stadt gebildet, die den Bürgereid geleistet hatten und damit das Bürgerrecht erlangten. Mit diesem Status waren natürlich besondere Rechte, aber auch Pflichten verbunden.
Jede Stadt hatte einen Stadtherrn, in dessen Herrschaftsbereich sie mehr oder weniger integriert wurde. Daraus läßt sich der Grad an Selbstverwaltung einer Stadt erschließen, d.h. "Die deutsche Stadt des Mittelalters war zwar vielfach autonom, aber nie souverän." An erster Stelle der städtischen Selbstverwaltung stand der Rat. Sein Aufgabengebiet umfaßte den politischen, militärischen und teilweise den judikativen Bereich.
Besondere Privilegien der Stadt wurden erkämpft oder verliehen wie Markt-, Münz- und Zollrechte, Stapel- und Niederlagsrecht, Handelsprivilegien, Bannmeilrecht, Braurecht, Finanzhoheit, Gerichtsrechte, Wehrhoheit und Befestigungsrecht.
Indem die Stadt einen eigenen Rechtsbereich markiert, grenzt sie sich aus der feudal bestimmten Umgebung ab. Nicht nur die Stadt nimmt damit eine Sonderstellung ein, sondern auch der Bürger.
8.3 Sozialgeschichtlicher Aspekt
Zu den privilegierten Ständen gehörte das Bürgertum, das persönliche Freiheit genoß. Die Landbevölkerung dagegen steckte meist in unterschiedlichen Formen der persönlichen Abhängigkeit. Nach dem Rechtsspruch "Freiheit nach Jahr und Tag" versuchten die Städte die Bewohner aus leibherrlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu trennen.
In den Städten herrschte eine vielfältige gesellschaftliche Schichtung vor. Kaufleute, Handwerker, Händler und Gewerbetreibende stellen den Hauptbestandteil der Bewohner in den mittleren und größeren Städten dar. Das Ackerbürgertum dominierte meist in den kleineren Städten. Die Genossenschaft und freie Einung bestimmten die mittelalterliche Bürgergemeinde hauptsächlich in ihrer Entwicklung.
8.4 Zentralörtlicher Aspekt
Besonderer Bedeutung kommt hierbei nicht nur dem Verkehrssystem zu, sondern auch der Struktur des Umlandes. In den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Stadt und Land kommt der Stadt als bevorzugtem Handelsplatz (Markt) und Ansiedlung von Handwerk und Gewerbe eine zentrale Funktion zu. Diese zentrale Funktion wurde in den Städten sehr unterschiedlich ausgebildet.
Ein Großteil der mittelalterlichen Städte hatte eine negative Bevölkerungsbilanz. Deshalb waren sie auf die Bevölkerung vom Land (aus der näheren Umgebung) angewiesen. Auf der anderen Seite strahlte das bürgerliche/städtische Leben wieder auf das Land aus, indem Kunsthandwerker und Künstler in der Umgebung arbeiteten. Außerdem konnte eine schulische Ausbildung nur in der Stadt erworben werden.
Eine Stadt konnte auch durch territorialherrliche Herrschafts- und Verwaltungszentren zu einer zentralen Funktion gelangen. Meist in Form einer Residenz eines geistlichen oder weltlichen Feudalherrn, die aber verfassungsrechtlich nicht zur Stadt gehörte.
8.5 Siedlungsgeschichtlich-topographischer Aspekt
In Hinsicht des äußeren Umfangs und der Einwohnerzahlen sind deutliche Unterschiede festzustellen. Bedeutend für die mittelalterliche Stadt werden Stadttor und Stadtmauer, welche im Laufe der Zeit Symbolcharakter bekommen und auf zahlreichen Stadtsiegeln dargestellt werden. (Neben den funktionellen Aspekten spielt auch der ideologische Aspekt eine Rolle, der in der bürgerlichen und kommunalen Repräsentation zugrunde liegt.)
Städte die nur in geringem Maß den o.g. Aspekten entsprechen, werden in der Forschung als Minderstädte bezeichnet.
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