Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte Vergil mit der Abfassung der Aeneis, eines mythologischen und zugleich historischen Epos in zwölf Büchern. Er beschreibt darin die sieben Jahre währenden Fahrten und Abenteuer des Helden Aeneas vom Fall Trojas bis zu seinem Sieg über Turnus in Italien. Mit der Aeneis schuf Vergil ein Idealbild Roms, in das er auch Prophezeiungen künftiger Ereignisse einflocht. Aeneas gelingt die Flucht aus Troja. Auf dem Rücken trägt er seinen alten Vater, an der Hand führt er seinen kleinen Sohn Askanios. Er stellt eine Flotte zusammen, segelt zusammen mit den überlebenden Trojanern nach Thrakien, Kreta, Epirus und Sizilien und erleidet schließlich vor der afrikanischen Küste Schiffbruch. Dido, die Königin von Karthago, entdeckt ihre Liebe zu Aeneas; als er dennoch abreist, verflucht sie ihn und begeht Selbstmord.
In Stil und Aufbau lehnt sich die Aeneis an die homerischen Epen Ilias und Odyssee an. In Teilen sind auch die Einflüsse der Argonautiká des griechischen Dichters Apollonios von Rhodos aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. und der Annales des römischen Dichters Quintus Ennius erkennbar; letzterer verwendete erstmals daktylische Hexameter in der lateinischen Ependichtung. In der Aeneis entwickelte Vergil dieses Versmaß in sprachlicher und technischer Hinsicht zur Perfektion, sodaß seinen Versen bis heute Vorbildcharakter zukommt.
Die Aeneis gilt gemeinhin als das erste große literarische Epos. Anders als die ebenfalls kunstvoll komponierte Ilias enthält sie keine der in den früher entstandenen, mündlich überlieferten Dichtungen gebräuchlichen Wendungen. Im Gegensatz zur Ilias ist die Aeneis keine auf Überlieferungen beruhende Darstellung von Ereignissen; vielmehr handelt es sich um eine auf Augustus' Wunsch hin entstandene Verherrlichung Roms, in der das Werden der Stadt und die Geschichte ihrer wohl von den Trojanern abstammenden Bewohner in idealisierter Form nachgezeichnet wird. Besondere Berücksichtigung fand dabei die Entwicklung der Stadt unter ihrem neuen Herrscher. Historisch Belegtes und die augustinische Zeit werden vor allem in den Büchern fünf bis acht, dem Hauptteil der Dichtung, behandelt. Durch den gekonnten Aufbau, die stilistische Harmonie und die Darstellung der Not des einzelnen kommt der Aeneis universelle Bedeutung zu.
Die Aeneis war von Anfang an ein vielbeachtetes Werk. Bereits ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. war sie Teil der Schullektüre. In etlichen Kommentaren wurde der Ruhm Vergils vergrößert, der lange Zeit als der größte römische Dichter und als der Dichter schlechthin galt.
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