Schon im Kindesalter galt alles Sexuelle, Geschlechtliche als unanständig und das normale Entdecken sexueller Gefühle (s. Wedekinds Titel "Frühlings Erwachen") und der Genitalien wurde strengstens verboten bzw. bestraft. So wurde den Kindern von Anfang an die Tabuisierung aller sexuellen Fragen auferlegt.
Pädagogen in den vergangenen Jahrhunderten warnten die Erzieher vor einer Behandlung der Sexualthematik als "eine geheimnisvolle Art, welche geeignet ist, die Neugier zu reizen." Da Sexualität in all ihren Facetten und Erscheinungsformen in der Gesellschaft generell verschwiegen wurde und das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Regel nicht besonders vertraut war, sahen sich Pädagogen vor das Problem gestellt, wie sie die junge Generation über die Vorgänge der Fortpflanzung in Kenntnis setzen sollten. Beharrten die Kinder auf einer Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des menschlichen Lebens, so empfahl K. v. Raumer, in seinem Buch "Die Erziehung der Mädchen", sie in dem Glauben zu lassen,
"ein Engel bringe der Mutter die kleinen Kinder; welche in manchen Gegenden übliche Sage viel besser ist, als die an andern Orten gewöhnliche, vom Klapperstorch. [...] Fragen später die Mädchen, wie es denn eigentlich mit den kleinen Kindern zugehe, so sage man: »Der liebe Gott gibt der Mutter das kleine Kind [...].Wie Gott die Kinder gibt, das brauchst du nicht zu wissen und könntest es nicht verstehen.« An ähnliche Antworten müssen sich Mädchen in hundert Fällen begnügen, und die Aufgabe der Mutter ist es, die Gedanken ihrer Töchter so unablässig mit Gutem und Schönem zu beschäftigen, dass ihnen keine Zeit bleibt zum Grübeln über solche Dinge."
Auffällig ist hier die Parallele zu Wedekinds Kindertragödie, in der die Sexualaufklärung ähnlich angegangen wird (vgl. Frau Bergmann). Des weiteren schreibt Raumer über die Notwendigkeit, dem Kind klar zu machen, dass es nicht gut wäre, wenn es so etwas wüsste und dass es vermeiden sollte, darüber sprechen zu hören. Festzuhalten ist, dass die Sexualität konsequent ausgeblendet und die Jugend so auf dem Gebiet der Sexualität konsequent zur Dummheit erzogen wurde. Man klärte sie weder über physische noch psychischen Erscheinungen der Pubertät auf, sondern belog sie lediglich mit Ammenmärchen über die Herkunft der Babies ab.
Aus eigener Erfahrungen war es den Erwachsenen im 19. Jahrhundert durchaus bewusst, dass jugendliche Sexualität mit Einsetzen der Geschlechtsreife existiert und normal ist. Die Eltern erzogen ihre Kinder so, wie sie selbst erzogen worden waren, und so verfestigten sich Ansichten über die Formen der (jugendlichen) Sexualität, die sich über Jahrhunderte gebildet hatten, aber jeglicher Grundlage entbehrten. Die einzig akzeptierte Form der Sexualität stellte der eheliche, stillschweigend in die Schlafzimmer verbannte Geschlechtsverkehr dar.
Der Kontakt Jugendlicher unterschiedlichen Geschlechts wurde aus übertriebener Angst vor fatalen Begegnungen nach Möglichkeit unterbunden, doch der erwachende Sexualtrieb forderte Befriedigung. Ersatzbefriedigungen wie homosexuelle Beziehungen oder Abarten der Sexualität (Sado-Masochismus, Voyeurismus...) sowie autoerotische Handlungen, waren die Folge. Onanie jedoch wurde als Selbstschwächung dargestellt, die auf "Schwächung, Verwüstung und Zerstörung wirkt." Sie wurde den Jugendlichen als ein Laster beschrieben, das zum Tod führt. Daher wurden alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen, um die Heranwachsenden durch Horrorgeschichten und Strafen zur Enthaltsamkeit bzw. zum Schuldbekenntnis zu bewegen. Um die Eltern und Erzieher für die heimliche Sünde der Selbstbefleckung sensibel zu machen, wurden diverse Merkmale erdichtet, die Unzüchtige entlarven sollten, so z.B. "Blässe des Gesichtes, besonders der Lippen; häufige und plötzliche Veränderung der Gesichtsfarbe; eingesunkene, hohlliegende, trübe und scheue Augen, mit dunklen Ringen umzogen; Erschlaffung der Muskeln des Gesichts." Diese und viele weitere beängstigende Folgen der Onanie wurden von Ärzten bestätigt.
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