Günther Anders (pseudonym für Günther Stern) geboren am 12.Juli 1902 in Breslau als Sohn des Psychologenpaares Clara und William Stern. Nach dem Studium der Philosophie bei Cassirer, Heidegger und Husserl promovierte er 1923 bei Husserl. Danach gleichzeitig philosophische, journalistische und belletristische Arbeiten in Frankreich und Deutschland, Mitherausgeber der Zeitschrift "Das Dreieck". Erste selbständige philosophische Schrift "Über das Haben" (1928). Ein Jahr später heiratet er Hannah Arendt. In den Jahren 1930-1932 arbeitet er an dem erst 1992 veröffentlichten Roman "Die molussische Katakombe", in dem die Herrschaftsmechanismen des Faschismus dargestellt werden.
1936 siedelt er nach Amerika über, und dabei trennen sich die Wege von ihm und seiner Frau.
In Amerika erhält er zwischenzeitlich einen Lehrauftrag für Ästhetik an der "New School for Social Research" in New York und er verdient darüber hinaus seinen Lebensunterhalt im amerikanischen Exil mit diversen Gelegenheitsarbeiten, unter anderem als Fabrikarbeiter in Los Angeles. Die dabei gesammelten Erfahrungen sollen später grundlegend sein für seine bedeutendste Schrift "Die Antiquiertheit des Menschen". Das sind verschiedene thematische Blöcke zur Darstellung der conditio humana ( menschlicher Zustand ) und sie wurden 1980 um einen zweiten Band erweitert. 1950 kehrt er nach Europa zurück und er zieht nach Wien, wo er bis zu seinem Tode (17.12.1992) lebt.
Anders veröffentlichte als erstes Nachkriegsbuch eine Arbeit über Kafka. In ihr greift Anders seinen zentralen Gedanken auf, "Mensch ohne Welt". Anders verwarf alle mystifizierenden Interpretationen und sah in Kafka weder einen Allegoriker noch einen Symboliker, sondern "den Realisten der entmenschten Welt", der zwar vor dieser Welt erschrickt, aber seinen Schrecken nicht in eine Warnung umsetzt. Er kritisierte Kafka, da dieser zwar das Paradies verlangt, aber er will es nicht herstellen sondern nur betreten, und so entstand die These von Anders, dass der Mensch auf keine bestimmte Welt festgelegt, sondern vielmehr darauf angewiesen sei, sich seine Welt erst zu schaffen, und dass er zu dieser Freiheit seiner Unfestgelegtheit verurteilt sei. Als weltlos sah Anders die Arbeitslosen, da sie innerhalb einer Welt lebten, die nicht für sie da ist und die sie auch nicht selbst für sich schaffen können. Er ist auch der Meinung, dass nicht der Mensch "Herr der Schöpfung" ist, sondern die Technik, der er als defizitäres und antiquiertes Wesen gegenübersteht.
Seine Stilformen sind bewußt antimodernistisch, also klassisch und damit ebenso wenig überholbar wie ihre Inhalte. Er ist ein Außenseiter der neueren Philosophiegeschichte, der sich bis ins hohe Alter polemisch einzumischen pflegte und zuletzt noch in der Anti-Atombewegung aktiv war. Seine Methode ist die, dass er durch Übertreibungen Wahrheiten ans Licht bringt.
Er hat großes Mißtrauen gegenüber jeder Art von akademischer Philosophie, und zu sehr war für ihn die Stellung des Menschen auf der Welt gefährdet, sodaß er "Gelegenheitsphilosophie" betrieb.
"Antiquiertheit des Menschen":
"Die Welt als Phantom und Matrize"
Hier heißt es, dass die Menschen hinter ihren technischen Triumphen verschwinden, und dass das Herstellen von Geräten das Vorstellen überlagert. Das reproduzierte verändert seine Konsumenten negativ, da sie ihm die Wirklichkeit vorenthält und ihnen stattdessen Surrogate bietet. Das Fernsehen produziert einen neuen Menschentypus, denn es vermittelt nicht Wirklichkeit, sondern schafft wirklichkeitsanaloge Situationen. Man kann sagen, dass der Bildschirm die Dinge verharmlost, das Medium minimalisiert und verbirgt. Die Absicht der Bildlieferung, ja die Lieferung des ganzen Weltbildes, besteht darin, das Wirkliche abzudecken, und zwar mit Hilfe des angeblich Wirklichen selbst; also die Welt unter ihrem Bilde zum Verschwinden zu bringen.
Der Mensch stellt sich eine bedürfnisstillende Welt her, die dann über seine Bedürfnisse weit hinausreicht. Zwischen den Menschen und ihren Produkten entsteht eine Gefälle besonderer art - Anders diagnostiziert eine "promethische Scham", das heißt, dass die menschliche Vorstellungskraft nicht mehr mit dem Potential der Maschinen mithält. Die Menschen sind nicht mehr auf dem Niveau der Geräte, sie sind nicht mehr Herren der Maschinen, sondern ihre Diener. Auch sind sie der Perfektion der Geräte nicht mehr gewachsen, dass sie mehr herstellen als vorstellen und verantworten können.
Die vom Medium des Fernsehens erzeugte Welt ist zugleich Phantom (weder unmittelbare Realität noch deren Abbild) und Matrize (d.h. die Welt wird danach geformt, das konstruierte Pseudo-Abbild wird zum Vorbild der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit). Anders erkennt wesentliche Momente einer "Medienwirklichkeit" zwischen Sein und Schein, zwischen Realität und deren Abbild.
Weitere Thesen:
.) Das Wirkliche wird erst über seine Abbildung wirklich (Photographie).
.) Die Wirklichkeit der Bilder ist ein Substitut für die genuine Welterfahrung.
.) Nachrichten übertragen keine Informationen, sondern sind bereits vorgefaßte Urteile
Rezipienten können über die gebotenen Informationen nicht verfügen.
.) Fernsehen ist kein Medium, sondern eine Maschine zur Produktion von
Wirklichkeitsanalogien, die wirklicher als die Wirklichkeit sind (Serien!).
.) Menschen, die sich nicht mehr selbst artikulieren, werden infantilisiert und um ihre
Subjektivität betrogen.
Anders beklagte den Sprachverlust, die Bilderflut und das "postliterarische Analphabetentum"
Seine Analysen sind philosophisch-weltfremd, abgehoben von der realen Mediensituation, mit der er sich nicht als Forscher auseinandergesetzt hat (er hat in seinem ganzen Leben nur ein paar Minuten lang ferngesehn).
"Über d. Bombe u. d. Wurzeln unserer Apokalypseblindheit":
Diese Blindheit ist das Resultat eines immer größer werdenden Abstandes zwischen dem, was wir herstellen können, und der Fähigkeit, sich die Konsequenzen des hergestellten vorzustellen - eine Disproportion, die Anders auch das "prometheische Gefälle" nennt. Sie läuft auf eine Schwächung des Hemmungsmechanismus hinaus, da, was zu groß ist, als dass es noch wahrgenommen werden könnte, auch nicht mehr verantwortet wird. In Anknüpfung an den Begriff des "Unterschwelligen" aus der Psychophysik nennt Anders dieses Phänomen "überschwellig". Weder die Wahrnehmung noch das Fühlen haben für Anders mit dem Entwicklungstempo des menschlichen Denkvermögens Schritt halten können. Gegen dieses historisch gewordene Versagen stellt Anders das gebot einer Erweiterung der Phantasie bzw. des Vorstellungsvermögen als "Organ der Wahrheit": Man soll seine Vorstellungskraft erweitern, damit man weiß, was man tut, denn um der Empirie gewachsen zu bleiben, muß man, wie paradox das auch klingt, Phantasie aufbringen. Konkret bedeutet das Gebot, unsere Vorstellung zu erweitern, unsere Angst zu erweitern, denn man soll keine Angst vor der Angst haben, man soll Mut zur Angst haben, auch den Mut, Angst zu machen.
Der Abwurf der Hiroshima-Bombe hat die Richtung seiner Philosophie entscheidend verändert. Er erkannte in der atomaren Vernichtung Hiroshimas eine historische Zäsur: mit einem Schlage hatte der Mensch die zuvor undenkbare Macht bewiesen, seine Gattung völlig auslöschen zu können. Was mit der Atombombe Realität geworden war und irreversibel ist (denn wir sind "unfähig, das einmal Gekonnte nicht mehr zu können") lautet bei ihm: "was uns nun bedroht, ist ein Ende, das wir selbst produzieren und das wir nicht nur produzieren können, sondern das wir nicht zu produzieren beinahe unfähig sind". Er wird zur international bekannten Gründerfigur der ersten Atombewegung. Anders versucht die "Überschwelligkeit", also die monströse Unsichtbarkeit nicht allein der atomaren Bedrohung, sondern auch allgemein der Auslieferung des Menschen an seine Apparate zu durchbrechen und das Unscheinbare zum Gegenstand der Aufmerksamkeit zu machen. Seine Devise lautet: "Kein Pardon für Abergläubische, Fanatiker, Unwissende, Narren, Böse und Tyrannen. Nennt man sich ohne Grund Philosoph?".
Er sagt dann, dass die, die ihn und andere bedrohen, auch von ihm und anderen bedroht werden wird. Und sie werden nicht nur bedroht, denn dadurch, dass sie hier und da ihre Drohungen wahrmachen werden, werden diejenigen eingeschüchtert sein. In einem Text von ihm heißt es: "Diejenigen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben". Deutlich ist, dass Anders die Mordankündigung als einen Akt der Notwehr beschreibt, der im vermeintlich existierenden Notstand der globalen atomaren Vernichtungsgefahr moralisch erforderlich ist. Wer sich an solcher "Notwehr" nicht beteiligt, bleibt unreif und unmoralisch. Die Muse seiner Philosophie ist die atomare Drohung gewesen, wie sie das Monstrum der Hiroshima-Bombe darstellte.
Die von Anders nahezu obsessiv vorgetragene Parallelisierung von Drittem Reich und dem "Atomstaat" und sein radikales Engagement gegen einen atomaren Globozid haben einen psychobiographischen Hintergrund: Trotz allen Wissens ahnungslos hatte der frühe Antifaschist Anders, Hitler und Auschwitz nicht verhindern können; er selbst war nur zufällig dem KZ entgangen und lebte seither mit dem belasteten Gewissen des Davongekommenen". Er schreibt dann, das dass einzige was er in seinem Leben bereue ist, dass er es versäumt hatte, Hitler umzubringen.
Gerade der Reaktor-Unfall von Tschernobyl hat nämlich gezeigt, dass sogar durch solch eine unkontrollierbare Katastrophe die von Anders beschworene Gefahr eines "Globozids" nicht gegeben ist. Die von ihm stets apostrophierte "Menschheit" oder das "irdische Leben im Ganzen" war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr, ausgelöscht zu werden.
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