Die Lyrik in der Zeit des Barock war geprägt durch eine gewisse Gespanntheit. Todessehnsucht und Diesseitsfreude waren Gegenstand vieler Werke und bildeten einen seltsamen Kontrast.
Auch viele Gedichte des 1597 geborenen Martin Opitz, der als Begründer der ersten schlesischen Dichterschule gilt, beschäftigten sich intensiv mit diesen philosophischen Gedanken.
In dem 1638 erschienenen Sonett "Ich will dies halbe Mich" verarbeitet der Dichter seine Sehnsucht nach dem Jenseits und hofft auf die Erlösung von den Qualen des Lebens. Er spricht von seinen Wünschen, den weltlichen Körper zu verlassen und mit seinem Geiste aufzusteigen zu einem besseren Leben und einer schöneren Welt.
Das Sonett ist in einer Art Dialog verfasst. Das lyrische Ich (entspricht dem Verfasser) erzählt seine Gedanken einem stummen Gesprächspartner. Dieser wird auch mehrfach angesprochen (z.B. ".mit deiner Augen Brunst.", ".von der die deine kommen."). Der Gesprächspartner wird nicht genauer benannt, doch das Thema und der Kontext lassen darauf schließen, daß es sich um Gott handelt.
Der Titel des Gedichts "Ich will dies halbe Mich" läßt in keiner Weise auf den Inhalt schließen. Erst beim Lesen versteht man, was der Verfasser damit meint. Er sieht die Menschen aus zwei Stücken bestehend: Dem Körper und dem Geist.
Der Poet will seine Hülle auf Erden, den für ihn wertlosen ("geringsten") Teil seiner Selbst, verlassen. Mutig wie Herakles möchte er seinen Leib, den er als eine Last empfindet, verbrennen und seinen Geist loslösen. Dieser wird dann frei sein und zum Himmel schweben. Der Dichter ist davon überzeugt, daß ihn dort etwas Besseres erwartet. Er kann es kaum erwarten, dorthin zu gelangen ("Mein Leib beginnt zu rennen"). Seinen Körper bezeichnet er als etwas Fleisch und eine "Hand voll Blut". Er will ihn tauschen für ein besseres Gut, womit er ein Leben ohne Zwänge, weltliche Probleme und Schmerzen meint. Sterbliche Vernunft wird in der besseren Welt nicht gekannt und sein Geist wird absolut frei und unabhängig von jeglichen Regeln und Gesetzen sein.
"Mein Licht, entzünde mich mit deiner Augen Brunst", so bittet er seinen Schöpfer. Er möchte mit der göttlichen Kraft erfüllt werden, um seinen Körper, der ihn auf Erden festhält, verlassen zu können. Finster und voller Grauen empfindet er seine Hülle und der Leser kann seine Verzweiflung richtig mitfühlen. In der 4. Strophe beschreibt er seine Hoffnung für das weitere Dasein. Ledig und frei, voller Kraft will er weit über der finsteren Erde, die voll mit weltlichen Problemen ist, fliegen. Er möchte in einer unvorstellbar schönen Welt leben, aus der Gott selbst stammt ("von der die deine kommen").
Am Gedicht "Ich will dies halbe Mich" lassen sich die typischen Merkmale eines Sonetts wiederfinden. Es besteht aus 2 Quartetten, denen zwei Terzetten folgen. Die Strophen werden jeweils von Endreimen geprägt. Die Reimstruktur hat die Form ABBA, CDDC, EEF, GGF (umarmender Reim). Das Versmaß ist ein Jambus mit jeweils 6 betonten Silben pro Zeile. Nach der dritten Hebung folgt eine Zäsur, welches eine inhaltliche Pause ist. Auch eine für das Sonett typische Antithetik kann man teilweise feststellen. So überwiegen in den Strophen 1 und 3 die negativen Aspekte. Wörter wie "Glut", "schnöde", "verbrennen" oder "Dunst, "finster", "Kerker" und "Grauen" lassen auf eine Antithese schließen. In den jeweils folgenden Strophen bringen Wörter wie "Himmel", "Besseres", "Gut", oder "frei", "ledig" und "Schönheit" eine positive Stimmung.
Der lautliche Eindruck des Gedichts ist allgemein sehr düster. Die dunklen Vokale o und u kommen oft vor und Wörter wie "Glut", "Blut", "Dunst", "Grauen" treten gehäuft auf.
Die Sprechweise des Dichters ist sehr pathetisch und entspricht der Hochsprache. Am Ende der vierten Strophe nutzt der Autor jedoch seine dichterische Freiheit und weicht von der korrekten grammatischen Form ab ("Die Schönheit anzusehen, von der die deine kommen!").
Im Gedicht gibt es sehr viele sprachliche Bilder. Die Glut (2. Zeile) ist zum Beispiel ein Symbol für das Feuer und den damit verbundenen Tod. "Luft und Himmel" in der 2. Zeile der 4. Strophe stehen für die Erde und die Menschen mit all ihren Sorgen und Problemen. In der 2. Strophe wird eine Synekdoche verwendet: "Dies Fleisch, die Hand voll Blut." steht für den Körper. Außerdem sind Metaphern vorhanden, z.B. in der dritten Strophe ".des Kerkers voller Wust und Grauen.", was wiederum eine bildhafte Darstellung für den menschlichen Körper ist.
Mit seinem Werk "Ich will dies halbe Mich" zeigt Martin Opitz den Lesern, wie sehr er sich nach dem Tod sehnt. Im Prunk der barocken Welt verlangt er ein besseres Leben ohne Sorgen, Krankheiten, Armut, Qualen und Ungerechtigkeiten. Ihm dürstet nach etwas Höherem. Er hofft auf die Erkenntnis und die vollkommene Freiheit und Erlösung. Opitz schrieb das Sonett frei nach dem Leitsatz der barocken Dichter: "Memento Mori - Gedenke des Todes".
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