Bis auf ein Fragment der ersten Niederschrift (aus Szene II,3) liegen weder Entwürfe zu »Kabale und Liebe« vor, noch existiert eine handschriftliche Fassung. Varianten gegenüber dem Erstdruck (»Kabale und Liebe ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Fridrich Schiller. Mannheim, in der Schwanischen Hofbuchhandung, 1784.« und »Kabale und Liebe ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Fridrich Schiller. Frankfurt und Leipzig. 1784.«) bietet jedoch die Theaterfassung für die Mannheimer Premiere 1784. Diese Theaterfassung, das sogenannte >Mannheimer Soufflierbuch<, stammt von Schiller. Über alle Einzelheiten der Textüberlieferung und Textkritik unterrichten der Anhang zu Band 5 der Nationalausgabe (Weimar 1957) und vor allem der Apparat zur kritischen Ausgabe von Herbert Kraft (Mannheim 1967).
1. Fragment der ersten Niederschrift
(>Bauerbacher Fragment<)
Das in der Textgeschichte von »Kabale und Liebe« mit der Sigle H bezeichnete Fragment von Szene II,3 ist ein aus der Zeit der ersten Niederschrift in Bauerbach stammendes, von Schiller beidseitig beschriebenes Quartblatt, das »jedenfalls vor dem 23. April 1783 anzusetzen ist«. Die Handschrift befindet sich heute im Goethe-und-Schiller-Archiv in Weimar. Die folgende Transkription gibt aus Gründen der Lesbarkeit den Text der Nationalausgabe, die beste textkritische Wiedergabe findet sich in der Ausgabe von Kraft. Die Zusätze in eckigen Klammern stammen von den Herausgebern Heinz Otto Burger und Walter Höllerer.
»einst gegeneinander stellt - Aber Sie haben die Engländerin in mir aufgefodert,
FERDINAND aufmerksam, auf seinen Degen gestützt LADY Hören Sie also, was ich außer Ihnen noch niemand vertraute, noch jemals einem Menschen vertrauen will. Ich bin nicht die Abentheurerin, Wieser, für die Sie mich halten. Ich könnte gros thun und sagen, ich bin fürstlichen Geblüts - aus der unglüklichen Thomas Norfolks Geschlechte, der für die schottische Maria ein Opfer ward. Mein Vater - des Königs oberster Kämmerer wurde bezüchtigt, in verräthrischem Vernehmen mit Frankreich zu stehen, durch einen Spruch der Parlamente verdammt, und enthauptet. Alle unsre Güter fielen der Krone zu. Wir selbst wurden [d]es Landes verwiesen. Meine Mutter starb am Tage [d]er Hinrichtung. Ich - ein dreizehnjähriges Mädchen - [f]lohe nach Teutschland mit meiner Amme, einem Kästchen [J]uweelen, und diesem Familien meine sterbende Mutter mit ihrem letzten Seegen mir in den Busen stekte -FERDINAND
LADY fährt fort unter grosen inern Bewegungen Krank -ohne ohne Vermögen - ohne Namen - eine
ausländische Wayse kam ich nach Hamburg. Ich hatte nichts gelernt als etwas französisch - ein wenig Filet und den Flügel; desto beßer verstund ich, auf Gold und Silber zu speisen, unter damastenen Deken zu schlafen, mit einem Wink zehen Bediente fliegen zu machen, und die Schmeicheleien der Grosen Ihres Geschlechts anzuhören. - Fünf Jare waren schon hingeweint - Die lezte Schmuknadel flog dahin. - Meine Amme starb - und jezt führte mein Schiksal Ihren Herzog nach Hamburg. Ich spazierte an den Ufern der Elbe - sah in den Fluß, und fieng an zu phantasieren, ob dieses Waßer, oder mein Leiden [verb. aus: Elend] wol tiefer wäre? Der Herzog sah mich - verfolgte mich - fand meinen Auffenthalt [verb. aus: meine Einsamkeit] - lag zu meinen Füßen und schwur daß er mich liebe. Alle Bilder meiner glüklichen Kindheit wachten jezt wieder mit verfürendem Schimmer auf - Schwarz, wie das Grab, gähnte mich eine
Trostlose Zukunft an - Mein Herz brannte nach eine[m] Herzen - Ich sank an das Seinige mit einem Strome von Tränen Jezt verdammen Sie mich! sie will sich hinausstürzen
FERDINAND der diese ganze Zeit über in tiefer Erschütterung stand, fährt mit Heftigkeit auf, folg[t] der Lady, und stürzt ihr zu Füßen Das ist wider die Abrede Lady - Sie solten Sich von Anklagen reinige[n] und machen mich zu einem Verbrecher - Fluch über«
2. Varianten aus dem >Mannheimer Soufflierbuch<
Im Februar 1784 begann Schiller sein Stück für eine Aufführung auf der Mannheimer Bühne zu bearbeiten. Seine Streichungen und Zusätze trug der Souffleur und Theaterschreiber Johann Daniel Trinkle - wohl nach Schillers Handexemplar - im März 1784 in ein Exemplar des gerade erschienenen Erstdruckes (Frankfurt und Leipzig 1784) ein. Als Schiller dann - ebenfalls im März - daranging, sein Stück in Mannheim selbst zu inszenieren, nahm er die erneuten Textänderungen dieser Inszenierungsarbeit noch in die offensichtlich schon fertige Theaterfassung auf. Diese zweite Bearbeitung ist nur an einigen Stellen mit Sicherheit von der ersten zu trennen, so z. B. in der letzten Szene (s. u.). Auf der so entstandenen Fassung beruhte dann die Mannheimer Premiere vom 15. April 1784. Diese Fassung diente mit verschiedenen Änderungen bis ins 19. Jahrhundert hinein als Regiebuch für Inszenierungen am Mannheimer Theater und wird in der Textgeschichte als das >Mannheimer Soufflierbuch< (Sigle M) bezeichnet. Es befindet sich in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek in Mannheim und wurde ebenfalls von Herbert Kraft ediert (Mannheim 1963). Die Grundsätze, nach denen Schiller seine Bearbeitung vornahm, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Beschränkung der Spieldauer, 2. Zugeständnisse an die kirchliche Zensur, 3. Milderung des Ausdrucks, 4. Politische Rücksichtnahmen, 5. Zurücknahme des bildlichen Ausdrucks, 6. Erleichterung des Verständnisses, 7. Änderungen in der Entwicklung der Charaktere.
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