Lessing hat die Ringparabel von Giovanni Boccaccio (1313-1375) übernommen und an seinen Nathan angepasst. Boccaccios Ringparabel hat fast den gleichen Hintergrund:
Saladin, der Sultan von Babylon, steckt in Geldnöten und möchte von Melchisedech, einem reichen Juden Geld leihen. Dieser aber ist geizig und würde ihm aus freien Stücken niemals Geld leihen. Saladin will aber keine Gewalt anwenden und ersinnt deshalb einen Plan, der Melchisedech zwingen könnte, ihm Geld zu leihen. Er lässt Melchisedech unter einem Vorwand rufen und fragt, welches Gesetz, das jüdische, das sarazenische oder das christliche, das wahre sei. Melchisedech weiß, dass Saladin wie immer er auch antwortet, seinen Zweck erreicht. Also antwortet Melchisedech mit einer Erzählung, der Ringparabel.
Boccaccios Ringparabel bietet jedoch keine Lösung an und endet ohne Richterspruch, sondern einfach mit der Feststellung, dass bis heute unentschieden ist, welche das wahre Gesetz und Gebot ist.
Es lässt sich also ein Vergleich zwischen Lessing und Boccaccios Ringparabel erstellen.
Die Teilnehmer des Gesprächs sind bei Boccaccio, der geizige Melchisedech und Saladin und bei Lessing Saladin und der freigiebige Nathan.
Die Gesprächssituation ist bei beiden Autoren gleich und setzt sich aus der Fangfrage Saladins zusammen.
Die Teile des Gesprächs sind unterschiedlich, da sich bei Lessing nach der Erzählung und ihrer Auslegung mit dem Richterspruch noch die Fortsetzung der Erzählung erfolgt.
Das Ergebnis des Gesprächs ist bei beiden Autoren gleich. Nathan bzw. Melchisedech freunden sich mit Saladin an, der sein Geld erhält.
Auch die Figuren der Parabel sind fast identisch, genauso wie der Inhalt der Frage. Bei Lessing spielt jedoch die Frage, warum sich Nathan zum Judentum bekannt hat, auch eine Rolle.
Die Problematik der Echtheit der Ringe wird aber von Lessing anders ausgelegt. Boccaccio sagt, dass sich der rechtmäßige Erbe nicht ermitteln lasse, Lessing dagegen, dass der rechtmäßige Erbe zu diesem Zeitpunkt noch nicht ermittelt werden kann. Es ist denkbar, dass alle drei Ringe falsch sind. Die Entscheidung ist demnach erst am Ende der Geschichte durch den weisen Richter möglich, der Ring müsste mit Zuversicht getragen werden, damit er seinen Zauber entfalten kann.
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