Adaption und Migration
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Der Lebensraum eines Tieres muss alle primären Bedürfnisse befriedigen. Er muss geeignete physikalische und chemische Eigenschaften bezüglich Temperatur-, Wasser-, Mineralien- und Sauerstoffhaushalt aufweisen. Des weiteren muss die richtige Sorte und Menge an Futter zur Verfügung stehen, um die nötige Energie für ein Überleben, für Wachstum und Fortpflanzung zu liefern. Um sich geschlechtlich fortpflanzen zu können, müssen Geschlechtspartner erreichbar sein. Doch kommt das alles nicht gleichmäßig verteilt über den gesamten Lebensraum vor, daher braucht ein Tier Lokomotion und Navigation auch dafür, um entsprechende Parameter in seiner Umgebung zu finden oder zu vermeiden. So bestimmen die zeitliche und räumliche Vielfalt der Erde und die komplexen Bedürfnisse einzelner Tiere den möglichen Nutzen von Migration und damit der Navigation.
Reaktionen auf ungünstige Verhältnisse
Verschiedene Alternativen stehen den Tieren offen, um schädliche Auswirkungen einer ungünstigen Jahreszeit so gering wie möglich zu halten. Eine Möglichkeit, die sich bietet, ist die Migration an einen Ort mit günstigeren Lebensbedingungen.
Die Lebensweise vieler Tiere besteht in periodischen Wanderungen von einem Teil ihres Lebensraumes in einen anderen. Eine solche Gewohnheit könnte durch Erkundung, die zu einer günstigen Entdeckung geführt hat, oder durch den Versuch entstanden sein, zeitweilig auftretenden, widrigen Umweltbedingungen zu entkommen. Verbessert das Tier durch Migration seinen Lebensraum erheblich, könnte sich dies in erfolgreicher Fortpflanzung bezahlt machen.
Dass die Mehrzahl kommerziell wichtiger Fischarten ein ausgeprägtes Wanderverhalten zeigt, unterstützt diese Hypothese. Es liegt auf der Hand, dass der Wechsel von einem produktiven Nahrungsgebiet in das nächste zu ihren riesigen Populationszahlen beiträgt.
Lebenszyklen und Fortpflanzung
Es überrascht nicht, dass endokrine und andere Stoffe, die die jahreszeitlichen Wanderungen regulieren, auch Fortpflanzung und Entwicklung steuern. Tatsächlich kann man die Migration eines Tieres als Teil seines Lebenszyklus betrachten, wie bei den Grauwalen, die in den Süden ziehen um zu kalben.
Die meisten Tiere, die weite Strecken zurücklegen, zeigen ein auf die jeweilige Jahreszeit gut abgestimmtes Programm zur Kontrolle ihrer Ruhe- und Wanderphasen. So gehen oftmals Wochen oder Monate an physiologischer Vorbereitungszeit der Wanderung voraus, besonders als Anlage von Fettpolstern als Energiequelle.
Nach einer Hypothese schließen sich Reifung und Wanderung bei juvenilen Lachsen gegenseitig aus. Das Verhalten tendiert je nach Umweltbedingungen in die eine oder andere Richtung. Ist genügend Futter vorhanden, stellt der junge Lachs die Wanderung flussabwärts und die Adaption an das Salzwasser zurück. In diesem Fall erfolgt anschließend schnell die Geschlechtsreife. Die frühreifen, nicht wandernden Lachse sind bei der Fortpflanzung kleiner als jene Tiere, die ins Meer wandern und noch über einen längeren Zeitraum Nahrung zu sich genommen haben. Diese Hypothese vermag zu erklären, warum im Sankt-Lorenz-Strom, dessen Bestand an Atlantischen Lachsen durch Überfischen und Wasserverschmutzung dezimiert worden ist, kürzlich viele kleine, geschlechtsreife und sesshafte Tiere gefunden wurden. Nimmt eine natürliche Lachspopulation beispielsweise durch starke Überfischung im Meer ab, dann könnte sich durch natürliche Selektion eine Verschiebung in den genetisch festgelegten Verhaltensweisen ergeben. Dann wären Gene, die einen starken Trieb, ins Meer zu wandern, vermitteln, selbstmörderisch. Viele Fische mit diesen Genen würden eliminiert werden. Fische dagegen, deren Gene sie schnell reifen lassen, hätten eine höhere Chance zu überleben und würden bald einen größeren Teil der Population ausmachen.
Ein Vergleich des Lebenszyklus des anadromen Lachses mit dem des catadromen Aales erinnert uns daran, dass das Wanderverhalten einer Art zum Teil von seiner Entwicklungsgeschichte bestimmt wurde. Der Lachs muss normalerweise ins Meer wandern, um dort zu fressen, heranzuwachsen und die Geschlechtsreife zu erlangen. Der Aal dagegen ernährt sich überwiegend im Süßwasser, wo er auch den größten Teil des Wachstumsprozesses durchmacht. Er wandert erst als großer, fast geschlechtsreifer Silberaal ins Meer, der aber keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Wie kann man diesen scheinbaren Widerspruch erklären? Die Entwicklungsgeschichte der verschiedenen Populationen, Arten und übergeordneten Gruppen muss dabei natürlich eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Möglichkeiten und Hindernisse während der Evolution sowie die Fähigkeit, mit diesen umzugehen, waren zweifellos für jede Spezies einzigartig. So haben sich Aale vermutlich in Gebieten mit tropischem Klima zu Zeiten entwickelt, als Flüsse bessere Ernährungs- und Wachstumsbedingungen boten als das Meer, welches aber bessere Laichgründe hatte. Durch natürliche Selektion individueller genetischer Unterschiede hat der Gesamterfolg bzw. -misserfolg bestimmter Verhaltensweisen dazu geführt, dass die Arten heute deutlich voneinander verschieden sind.
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